42 - Die Trommeln von Scorpio
niemand los, um das Buch aufzunehmen.
Die Stadt unter uns zeigte weiterhin weder Leben noch Bewegung.
»Sehr interessant«, bemerkte unser Zauberer aus Loh. »Da warten einige schöne Leseabende auf mich. Ausgezeichnet!«
Rollo kam vom Bug und stürmte auf die schmale Galerie. Er riß das Buch an sich. Er schloß es nicht, sondern nahm es an der aufgeschlagenen Seite auf und gab es Deb-Lu. Wir alle bemerkten, wie behutsam er das Buch weiterreichte. Beide Zauberer, der erfahrene Magier und der Schüler, erkannten die Macht, die in seinen Seiten steckte. Ich schaute mir das Papier an; es war Vellum von hoher Qualität, kein Papier aus Aphrasöe.
Es bestand durchaus die Möglichkeit, daß der Einband aus der Haut einer Jungfrau bestand.
Ich fragte: »Wie hast du die Kette durchtrennt?«
Rollo sah schnell herüber und lächelte flüchtig.
Deb-Lus keuchende Stimme klang so bescheiden wie immer. »Es war nicht allzu schwer. Die Kette besaß kein zusätzlich auferlegtes Kharma.«
Je öfter man sah, was die Zauberer aus Loh ohne jeden Hokuspokus erreichten, desto mehr beeindruckten sie einen.
»Ich sehe es mir nur mal schnell an ...« Deb-Lus Stimme wurde leiser. Er fing an zu lesen.
Leise sagte Rollo: »Es gibt zwei Arten von Kharma – das heißt, soweit mir bis jetzt bekannt ist. Es mag mehrere geben, und das Studium wird sie mir enthüllen, wenn der San der Ansicht ist, daß ich dazu reif bin. Das eine ist passiv, das andere aktiv. Passives Kharma existiert in allen Objekten der Natur. Aktives Kharma kommt aus dem Innern und wird vom Zauberer kontrolliert. Man kann es nur durch Studium erlangen.« Er holte bedeutungsvoll Luft. »Hartes Studium, bei Hlo-Hli!«
Das ließ mich im stillen lächeln. Deb-Lu war wirklich erfolgreich darin, diesen Draufgänger zu etwas Nützlichem auszubilden.
Seg sagte: »Ich bin dafür, wir trinken etwas. Noch jemand?«
Das war ein äußerst vernünftiger Vorschlag.
Emder und Tim Timutorio brachten Sazz und Parclear. Nachdem wir alle unsere Kehle befeuchtet hatten, schaute Deb-Lu auf. Er nickte zufrieden, und Rollo, der aufmerksam zusah, fing den fallenden Turban auf.
»Kharma.« Deb-Lus Augenbrauen zogen sich zusammen. »Wie du genau weißt, Rollo, gibt es eine Abart des aktiven Kharma, das auferlegte Kharma. Du weißt auch, daß es sich für einen Adepten nicht schickt, die Kunst mit Außenstehenden zu diskutieren.«
Rollo sah eher unbehaglich als eingeschüchtert oder gescholten aus.
»Nun«, sagte Deb-Lu munter. »Wenn man etwas rückgängig machen will, ist es immer nützlich zu wissen, wie es zustande kam. Ich kann etwas wiederholen und rückgängig machen.«
»Warte einen Augenblick, Deb-Lu.« Ich rieb mir das Kinn. »Der Bursche hat sich zusammen mit der ganzen Stadt verzaubert. Wir hoffen, daß Fantong uns zu der Stelle führt, an die wir wollen. Wäre es nicht nützlich, wenn wir uns dort unten frei bewegen könnten, während alle anderen zu Stein erstarrt bleiben?«
»Jetzt, wo ich genau weiß, wie es gemacht wurde, kann ich es umkehren ... Nun, es braucht euch nicht zu kümmern.« Deb-Lu dachte nach, das aufgeschlagene Buch lag vor ihm auf dem Tisch. Rollo stand neben ihm und sah darauf hinunter. Schließlich hob Deb-Lu den Kopf. »Gut. Ich kann es mit Hilfe einer Kombination erreichen.«
»Ausgezeichnet!«
»Doch alle«, sagte Rollo, »werden eine Aura verbreiten, die ...«
»Oh, das ist wohl wahr«, bestätigte Deb-Lu. »Wenn man sich einer erstarrten Person nähert, wird das auferlegte Kharma, das man mit sich trägt, auf den Lähmungszauber einwirken und die betreffende Person erwecken.«
»Wir müssen uns also nur von irgendwelchen bösartigen Leuten fernhalten.«
Delia, die einen untrüglichen Blick hat, wenn es um die Sauberkeit geht, und die unsere Wohnstätten makellos rein hält, sagte: »Dort unten gibt es keinen Staub. Man sollte eigentlich erwarten, daß dort überall Staub liegt, wenn sie sich schon lange in diesem Zustand befinden.«
»Und der Regen«, meinte Milsi, deren Reich sich am bewaldeten Fluß des Blutigen Bisses entlang erstreckte.
»Es ist so«, sagte Rollo, »daß der Zauber Regen und Staub unterbindet.« Er warf seinem Meister einen schnellen Blick zu, um zu sehen, ob Deb-Lu die Sache weiter ausführen wollte, dann fuhr er fort: »Die Luft dort unten bewegt sich nicht.«
»Wie sollen wir dann atmen?« wollte Seg wissen.
»Auf die gleiche Weise, auf die man einen Erstarrten erweckt. Bei jeder Bewegung befreit man die Luft, die
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