42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
nichts?“ fragte die fromme Schwester enttäuscht. „Das ließ sich ja erwarten!“
„Aber er liefert ihn uns damit in die Hände!“
„Wieso?“
„Das Honorar wurde nicht bar, sondern per Anweisung ausgezahlt, und Sternau hat diese Anweisung dem Bankier geschickt, der die Summen nach Deutschland vermitteln soll. Dieser hat es sofort getan und benachrichtigt den Grafen davon.“
Alfonzo schüttelte den Kopf und sagte:
„Ich begreife aber noch immer nicht, wie diese Angelegenheit den Doktor uns in die Hände liefern soll. Erkläre dich deutlicher!“
„Die Höhe der Summe ist es, die ihm den Hals bricht. Da, lest einmal!“
Die beiden hatten kaum einen Blick auf das Papier geworfen, so brachen sie in einen Ausruf des Erstaunens aus.
„Unmöglich!“ rief Clarissa.
„Das ist ja ein Vermögen!“ rief Alfonzo.
„Nicht wahr?“ fragte Cortejo. „Ein fürstliches, nein, sogar ein wahrhaft königliches Honorar!“
„Das ist ja geradezu unglaublich!“ meinte die fromme Schwester, die sehr geizig war.
„Ist es Zeit, noch zu redressieren?“ fragte Alfonzo.
„Also ihr haltet es für unglaublich?“ sagte Cortejo.
„Ganz bestimmt!“ erklärte die Dame.
„Ha“, meinte Alfonzo, „möglich ist es schon, wenn man alles richtig bedenkt und überlegt.“
„Ja, ich zweifle nicht im mindesten daran“, sagte der Notar. „Das Augenlicht ist etwas wert; der Deutsche hat den Grafen vollständig in seinem Netz; Don Emanuel war unendlich reich, und im ersten Augenblick des Glückes, wieder sehen zu können, wurde er verschwenderisch.“
„So dargestellt, ist es allerdings zu glauben“, meinte die fromme Clarissa bedächtig.
„Aber“, meinte Alfonzo, „ich begreife noch immer nicht –“
„Du sollst es sofort hören. Der Graf war blind –“
„Nun?“
„Er schrieb niemals ein Wort –“
„Weiter.“
„Sämtliche schriftliche Arbeiten hatte nur ich allein zu besorgen. Selbst die Unterschrift war mir überlassen. Da nun kommt von seiner eigenen Hand diese Anweisung –“
„Ah, ich beginne zu begreifen!“ rief Alfonzo.
„Von der ich nicht das Geringste weiß.“
„Nicht? Wirklich nicht?“
„Nein; die auch in keinem der Bücher bemerkt worden ist.“
„Auch das nicht?“
„Nein. Ja, ich habe seit drei Tagen vergessen, meine Einträge zu machen, und werde nachholen, daß mir der Graf befohlen hat, dem Doktor Sternau tausend Duros Honorar auszuzahlen. Das ist ein Beweis gegen den Deutschen.“
„Herrlich!“ rief Clarissa. „Der Herr hat dich mit großem Scharfsinn begnadigt, Gasparino. Wir werden endlich siegen.“
„Ich werde dies sofort besorgen. Du aber, Alfonzo, reitest schnell nach Manresa.“
„Was soll ich dort?“
„Pah! Du fragst noch? Anzeige machen natürlich und Polizei holen. Er muß noch heute arretiert werden.“
„Ich habe noch niemals etwas so gern getan wie das!“ meinte Alfonzo. „Ich werde sofort reiten. Aber bist du auch sicher, daß es gelingt?“
„Es muß gelingen, es muß!“ sagte der alte Schurke mit großer Bestimmtheit. „Ich stehe dafür!“
„Und Rosa! Wenn sie davon weiß? In diesem Fall würde sie ihm als Zeugin dienen.“
„Das ist allerdings ein Umstand, den wir berücksichtigen müssen. Ich werde sehen, was zu tun ist. Übrigens kommt es uns ja gar nicht darauf an, das Geld zurückzuerhalten und diesen Deutschen wegen Fälschung bestrafen zu lassen; es genügt vollständig, daß er für den Augenblick unschädlich gemacht wird. Und dafür wird mein Freund, der Corregidor, sorgen.“
„Ah, du denkst, daß der Deutsche nicht nach Manresa, sondern nach Barcelona geschafft wird?“
„Freilich, da es sich um einen so hohen Betrag handelt. Während du nach Manresa reitest, werde ich den Brief für den Corregidor schreiben. Der Deutsche sitzt gefangen; der Graf wird begraben; du trittst das Erbe an und stellst dich bei Hof vor, und sollte Rosa uns Schwierigkeiten machen, so gibt es ein sehr gutes Mittel, sie gefügig zu machen.“
„Welches?“
„Wir stecken sie in das Stift, dessen treue Vorsteherin hier deine gute Mutter ist.“
„Ah, das wird schwer werden!“ sagte Schwester Clarissa. „Sie wird sich weigern. Ein verlorenes Schäflein läßt sich niemals gern von den guten Hirten ergreifen, um gerettet zu werden.“
„Sie wird sich nicht weigern. Es gibt ein ausgezeichnetes Mittel, allen Widerstand zu brechen.“
„Welches?“ fragte Alfonzo.
Der Advokat sah ihn bedeutungsvoll an und sagte
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