42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
mächtigen Persönlichkeit Sternaus stand. Dieser hatte sich jetzt entfernt, und nun sank dem Mann dem jungen Grafen gegenüber der Mut, zumal auch der Notar das Wort ergriff, ihm entgegentrat und mit zürnender Miene die Frage aussprach:
„Señor, sagt einmal, ob Ihr mich kennt?“
„Ja“, antwortete er.
„Nun, wer bin ich?“
„Der Sachwalter Seiner Erlaucht.“
„Gut. Was heißt das, Sachwalter?“
„Ihr habt ihn schriftlich und rechtlich in allen Stücken zu vertreten.“
„Sehr schön! Nun ist aber mein Mandat noch keineswegs erloschen; was ich also tue, das ist geradeso, als ob es der Graf selbst tut. Wollt Ihr diesen Gitano wirklich unschuldigerweise verhaften?“
Der Alkalde befand sich in keiner geringen Verlegenheit; er schwieg. Cortejo wandte sich an den Zigeuner.
„Wir brauchen dich nicht mehr; du kannst gehen, und ich will denjenigen sehen, welcher dich zu halten wagt!“
Garbos Augen leuchteten vor Freude. Er machte eine tiefe Verneigung vor Cortejo und sagte:
„Señor, ich danke! Ich bin wirklich unschuldig!“
Er entfernte sich, ohne daß der Alkalde ihn zurückhielt. Jetzt wandte sich der Advokat an die Männer, welche die Bahre zu tragen hatten:
„Ihr geht da hinab, ladet den armen gnädigen Herrn auf und tragt ihn nach dem Schloß. Wer sich weigert, der wird augenblicklich entlassen!“
Die Leute gehorchten ohne Widerrede, und die Furcht vor dem strengen Notar war so groß, daß die sämtlichen Auseinandersetzungen des Deutschen erfolglos blieben. Der Alkalde fügte sich schweigend, und es dauerte nicht lange, so setzte sich der Zug nach Rodriganda zu in Bewegung.
Der Doktor aus Manresa ging in der Nähe der Leiche. Cortejo ging mit Alfonzo in einer solchen Entfernung hinter dem Zug her, so daß sie miteinander sprechen konnten, ohne gehört zu werden.
„Aber Sternau wird den Corregidor rufen“, sagte der letztere.
„Fürchtest du dich?“
„Nein. Aber er ist ein Mensch, dem alles zuzutrauen ist!“
„Ich werde mich nicht beugen!“
„Aber wie kam er dazu, mir zu sagen, ich sei nicht der echte Sohn des Grafen Emanuel de Rodriganda?“
„Das weiß der Teufel!“
„Und wie kam er weiter dazu, zu behaupten, daß der wirkliche junge Graf in See gegangen sei?“
„Das weiß des Teufels Großmutter! Er ist ein ganz gefährlicher Halunke, den ich uns vom Hals schaffen werde. Er ist der einzige Gegner, den wir noch besitzen; er muß unschädlich gemacht werden, und zwar bald.“
„Und Rosa?“
„Pah! Sie ist ein Mädchen. Ich habe nicht gelernt, ein Weib zu fürchten!“
Auch die Bewohner von Rodriganda, welche mit in der Schlucht gewesen waren, tauschten unterwegs ihre Bemerkungen aus. Sternau war beliebt, die anderen aber haßte oder fürchtete man. Ein jeder hatte die Worte des Deutschen gehört, und nun wurden leise Vermutungen ausgesprochen, welche dem jungen Grafen keineswegs zur Ehre klangen.
Jetzt erreichte man das Schloß, und der Notar ließ die Leiche in dem Gewölbe eines Nebengebäudes niederlegen; dann begab er sich auf sein Zimmer. Hier fanden sich Briefschaften vor, welche während seiner Abwesenheit von der Post abgegeben worden waren. Er öffnete sie, um sie durchzugehen.
Die erste, welche er zur Hand nahm, enthielt nur eine kurze Notiz. Kaum jedoch hatte er dieselbe überflogen, so nahm sein Angesicht zunächst einen überraschten, dann förmlich diabolischen Ausdruck an.
„Ah, wie herrlich sich das trifft!“ rief er. „Ah, besser kann ich es mir doch gar nicht wünschen!“
Mit dem Brief in der Hand eilte er zu seiner frommen Verbündeten. Er fand dort Alfonzo, welcher beschäftigt war, ihr das Ereignis in der Batería zu erzählen.
„Gasparino, ist das alles wahr, was ich höre?“ fragte sie. „Wir befinden uns in großer Gefahr!“
„Befanden, meinst du, nicht aber befinden“, antwortete er.
„Ich sehe keine Veranlassung zu einem so frohen Gesicht, wie du zeigst“, bemerkte sie.
„Ich desto mehr“, antwortete er.
„Wieso?“
„Weil die Gefahr vorüber ist.“
„Wirklich?“ fragte Alfonzo.
Der freudige Ton seiner Stimme war der beste Beweis, daß die Sorge nicht leicht auf ihm gelegen hatte.
„Hier, hier ist unsere Rettung!“ sagte der Notar, den Brief in die Höhe haltend.
„Was ist es, Vater?“ fragte Alfonzo.
„Eine Bemerkung des Bankiers in Barcelona. Ratet einmal, was sie enthält!“
„Wer soll raten. Sage es!“
„Der Graf hat diesem Sternau ein Honorar ausgezahlt.“
„Weiter gibt es
Weitere Kostenlose Bücher