42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
ohne Willen; sie weiß auch gar nicht mehr, wer sie ist.“
Der Pater dachte nach. Dann fragte er:
„Und Ihr denkt, daß Señor Sternau sie heilen würde?“
„Gewiß, ganz gewiß!“
„Gut. Ich werde mir die Anstalt in Larissa einmal ansehen. Also, Ihr werdet mir soviel Geld anvertrauen, wie ich brauche, Señor Alimpo?“
„Nehmt soviel Ihr wollt; nehmt alles; ich habe es Euch ja bereits gesagt! Nicht wahr, meine Elvira?“
„Ja“, antwortete seine dicke Frau.
„Nun gut“, sagte der Pater. „Ich muß ein Pferd für ihn haben, vielleicht auch für mich eines. Gebt mit zweihundert Duros.“
„Zweihundert? Das ist zuwenig. Nehmt fünfhundert!“
„Ich brauche nicht soviel, wenigstens jetzt nicht; aber ich werde es doch nehmen, denn bei solchen Angelegenheiten ist es besser, man hat mehr als weniger.“
Er nahm das Geld und ging. Von Rodriganda aus waren es nur zwei Wegstunden. Sein geistliches Gewand verschaffte ihm in der Anstalt leicht Zutritt. Er sah die Gräfin Rosa. Er erfuhr, daß sie niemals ein Wort spreche und nur sehr wenig genieße. Sie war noch immer schön; ihre Schönheit war diejenige eines Wesens, welches dem Grab entgegengeht. Sie hielt sich stets auf dem kleinen Friedhof auf, welcher zur Anstalt gehörte, sie betrat ihn bereits früh, betete daselbst den ganzen Tag und konnte des Abends nur mit Gewalt nach ihrer Zelle gebracht werden. Es war jetzt Winter geworden, und der Schnee lag fußhoch auf dem Friedhof; der Aufenthalt auf demselben mußte die körperliche Gesundheit der bereits geistig Kranken vollständig untergraben, doch kümmerte sich niemand um dieselbe.
Nachdem der Pater das alles erfahren und gesehen hatte, kehrte er nach Barcelona zurück. Hier kaufte er ein Pferd und einen Maulesel; das erstere für Sternau und den letzteren für sich, ließ aber die Tiere bei dem Händler stehen, um sie erst im Augenblick des Gebrauchs abzuholen.
So vergingen abermals Wochen, und die Weihnachtszeit rückte heran. Da, am Heiligen Abend, hatte er den Schließer besucht und erfuhr von demselben, daß ein Gefangener im Sterben liege; er sei nicht allein in seiner Zelle, sondern stecke mit dem deutschen Arzt zusammen. Der Pater jubelte im stillen, ließ sich jedoch äußerlich nichts merken. Der Schließer bat ihn, mitzukommen. Er steckte den großen Schlüsselring zu sich und brannte die Laterne an. In der Nähe der Tür hingen zwei große Torschlüssel. Sie gehörten zwei Beamten, welche sie hier abzugeben hatten. Während der Schließer sich mit der Laterne zu schaffen machte, gelang es dem Pater, einen der Torschlüssel unbemerkt an sich zu bringen; dann gingen sie nach der Zelle des Sterbenden.
Was dort und später passierte, wissen wir. Sternau mußte die Leiche tragen und entkam. Unterdessen hatte der Pater die beiden Tiere geholt und erwartete ihn auf der Straße nach Rodriganda. Es war zwar kein Wort zwischen ihnen gefallen; aber der Pater war überzeugt, daß der Arzt seine Flucht nur in Richtung nach Rodriganda richten werde.
Als Sternau ein Pferd und ein Maultier erblickte, wo auf letzterem ein Mann in geistlicher Kleidung saß, ahnte er, daß dies derselbe sei, der im Gefängnis gewesen war.
„Erwartet Ihr jemand, frommer Vater?“ fragte er.
„Ja.“
„Wen?“
„Euch, Señor.“
„Ah, ich ahnte es. Man hat Euch abgesandt, mich zu befreien.“
„Ja. Steigt auf! Ihr seid doch ein Reiter?“
„Ja.“
„Wir müssen in zwei Stunden nach Manresa, selbst wenn die Tiere stürzen.“
„Warum so schnell? Warum nach Manresa und nicht nach Rodriganda?“
„Steigt nur auf, Señor; ich werde Euch unterwegs alles sagen, was Ihr erfahren müßt.“
Sternau stieg auf, und nun flogen sie so schnell auf der Strecke dahin, wie die Tiere laufen konnten. Der Arzt atmete die reine Winterluft mit Wonne ein. Nach einer langen Weile fragte er:
„Ich kenne Euch noch nicht; ich habe Euch noch niemals gesehen. Nicht wahr, Contezza Rosa sendet Euch?“
„Nein.“
„Nein? Wer sonst?“ fragte er erstaunt.
„Señor Alimpo.“
„Der Kastellan? Ach so, also doch im Auftrag der Contezza.“
„Nein. Die Contezza ist krank; sie gibt keinen Auftrag mehr.“
Da erschrak Sternau auf das tiefste.
„Krank?“ fragte er. „Welche Krankheit hat sie?“
„Sie ist –“ Der Pater stockte vorsichtig und fuhr dann fort: „Sie hat dieselbe Krankheit, welche Ihr an ihrem Vater heilen solltet.“
Es durchzuckte Sternau wie ein plötzlicher Schlag.
„Höre ich recht?“
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