42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
Diese war verschlossen. Er klopfte.
„Wer ist da?“ fragte nach einer Weile Cortejo von innen.
„Ich. Öffne mir!“ antwortete Sternau, indem er die Stimme Alfonzos nachahmte.
„Donnerwetter! Was gibt es denn? Hat es keine Zeit?“ fragte der Advokat gähnend.
„Nein.“
„So komm! Aber neugierig bin ich.“
Man hörte, daß er aus dem Bett stieg und den Schlafrock anzog. Dann kam er nähergeschlurft und öffnete. Es war dunkel auf dem Korridor, so daß er nicht sah, wer draußen stand.
„Nun, nur näher, Alfonzo!“ sagte er. „Was kommt dir denn in den Sinn, daß du so spät – – –“
Er hielt mitten in der Rede inne, denn der Schreck raubte ihm die Sprache. Sternau war eingetreten und hatte die Tür hinter sich zugezogen. Das Nachtlicht beleuchtete ihn zur Genüge, so daß der Notar ihn erkannte und vor ungeheurer Bestürzung vergaß, seine Rede zu vollenden.
„Ihr scheint meine Stimme verkannt zu haben“, sagte Sternau in einem Ton, der kalt wie Eis und spitz wie Stahl klang.
„Sternau!“ murmelte jetzt der Notar.
Zu einem lauten Wort konnte er es noch nicht bringen; aber er machte doch eine Bewegung, als wolle er nach der Tür springen. In demselben Augenblick jedoch schlug ihm der Arzt die Faust vor den Kopf, daß er wie ein Sack zu Boden stürzte. Eine Minute später war er gefesselt und geknebelt wie vorher Graf Alfonzo. Sternau schloß ihn ein und begab sich nach dem Saal, wo die Diener in Erwartung dessen standen, was da kommen solle. Auch der Alkalde mit dem Ältesten des Dorfes war bereits zugegen. Das hatte Sternau wissen wollen. Er gebot den Leuten, den Saal nicht zu verlassen und auf seine Rückkehr zu warten, und begab sich wieder zu dem Advokaten, welcher unterdessen wieder bei Besinnung war. Er setzte sich neben ihm nieder und begann:
„Señor Cortejo, ich habe Euch gefesselt, um ungestört ein Wort mit Euch zu sprechen. Hört mich an! Daß Ihr der größte Halunke der Erde seid, wißt Ihr ja, und ich brauche es Euch also nicht erst zu sagen, aber ebensowenig werdet Ihr Euch darüber verwundern, daß ich Euch als Halunken behandle. Ihr habt mich verraten und in die Gefangenschaft verkauft –“
Der Gefesselte machte vor Angst eine verneinende Kopfbewegung. Sternau aber fuhr fort:
„Lügt nicht! Es hilft Euch nichts! Ich bin wieder frei: Euer Verrat hat Euch also nicht ganz zum Ziel geführt. Auch Gräfin Rosa habt Ihr gefangengenommen. Sie lebte zwar nicht in einem Gefängnis, sondern in einem sehr frommen Stift, aber auch sie ist wieder frei. Ich habe sie mit hier. Sie ist wahnsinnig. Ihr habt sie vergiftet, so wie Ihr den Grafen Emanuel vergiftetet! Schüttelt nicht mit dem Kopf! Ihr habt Euer Verbrechen so schlau unternommen, daß ich Euch noch nicht fassen kann; aber es wird die Zeit kommen, wo ich Euch packen werde, und dann gnade Euch Gott! Für heute ist es nur wenig, was ich mit Euch zu besprechen habe. Ich werde nämlich Contezza Rosa mit mir nehmen. Ich erlaube mir deshalb, die nötigen Kleider hier einzupacken und auch für die notwendigsten Legitimationen zu sorgen; diese werden notwendig sein, da die Contezza auf die Auszahlung ihres Vermögens dringen wird. Ihr glaubt, daß dies keinen Erfolg haben wird, da sie wahnsinnig ist? Pah, ich werde sie wiederherstellen! Ich sage Euch nämlich folgendes: Ist die Contezza unheilbar, so sterbt Ihr des fürchterlichsten Todes, den es gibt, von meiner Hand. Um sie zu heilen, bedarf ich des Mittels, welches ich bereits bei Graf Emanuel anwenden wollte, nämlich des Geifers eines zu Tode gekitzelten Menschen. Da Ihr nun mit Eurem Gift den Wahnsinn hervorgerufen habt, so scheint es mir ganz in der Ordnung, daß auch Ihr selbst das Gegenmittel liefert. Ich werde Euch jetzt so lange kitzeln, bis Ihr den Schaum des wahnsinnigsten Schmerzes von Euch gebt. Töten will ich Euch aber erst dann, wenn auch dieses Mittel nichts hilft.“
Bei diesen Worten trat dem Advokaten der Angstschweiß auf die Stirn. Sternau kümmerte dies nicht. Er faßte den Gefesselten, trug ihn nach dem Nebenzimmer und band ihn dort so, daß er sich unmöglich bewegen konnte; dann verdichtete er den Knebel und suchte endlich nach einem Gefäß, in welches er den giftigen Schaum sammeln konnte.
Es mußte eine fürchterliche Angst sein, welche der Advokat bei diesen Vorbereitungen empfand. Endlich zog ihm der Arzt die dünnen, feinen Nachtstrümpfe aus, nahm vom Schreibzeug eine Gänsefeder hinweg und begann mit der Fahne dieser Feder die
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