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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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gesehnt.
    Drum fühlt gestillt er all sein Sehnen,
   Es klopft sein Herz vor Himmelslust,
Und unter tausend Freudentränen
   Stürzt er sich an der Mutter Brust.“
    Wenn man auf der Karte von Mainz aus eine gerade Linie bis nach Kreuznach zieht, so berührt diese Linie den Namen eines Dörfchens, welches der Sitz einer Oberförsterei ist. Dieser letztere bildet ein hohes, geräumiges, schloßähnliches Gebäude, welches vor Jahrhunderten für eine zahlreichere Bewohnerschaft gebaut worden ist, als für diejenige, welche es zu der Zeit belebte, in welcher die interessanten Ereignisse spielten, von denen unsere Geschichte erzählt.
    Der alte Oberförster Rodenstein war nämlich niemals verheiratet gewesen, und da ihm sein Schloß zu einsam wurde, so bat er eine entfernte Verwandte, mit ihrer Tochter zu ihm zu ziehen. Diese Verwandte, eine Frau Sternau, war nun keine andere als die Mutter des berühmten Operateurs Doktor Karl Sternau. Sie war seit langer Zeit Witwe und erfüllte daher nicht ungern den Wunsch ihres Verwandten, welcher gewöhnlich ‚Herr Hauptmann‘ genannt wurde, weil er diesen Grad bei der Landwehr bekleidet hatte.
    Auf einer Art von kleinem Vorwerk, welches eigentlich eher ein Vorhof des Schlosses genannt werden sollte, wohnte die kleine Familie des Steuermanns Helmers, dessen Verhältnisse wir noch näher kennenlernen werden. Diese Familie bestand außer dem viel abwesenden Vater nur aus Frau Helmers und einem fünfjährigen Sohn, dem kleinen Kurt, der ein ganz außerordentlicher Tausendsassa, aber auch zugleich der erklärte Liebling sämtlicher Schloßbewohner war.
    Es war heute an einem sehr frühen Morgen, da saß der Herr Hauptmann bereits in seinem Arbeitszimmer und rechnete Tabellen aus. Das war diejenige Arbeit, welche er am wenigsten liebte, und darum lagen schwere Wetterwolken auf seiner Stirn, und aus seinen Augen hätte es gern aufgeblitzt, wenn er nur jemand gehabt hätte, den diese Blitze treffen konnten.
    Da klopfte es an die Tür.
    „Herrrrrrrein!“ kommandierte der Herr Hauptmann.
    Die Tür öffnete sich, und der Forstgehilfe Ludewig trat ein. Er war die rechte Hand, das Faktotum, des Oberförsters und hatte dessen Licht- und Schattenseiten aus der ersten Hand zu empfinden. Er hatte in der Kompanie des Herrn Hauptmanns gedient und war noch von dieser Zeit her an eine vollständig militärische Disziplin gewöhnt. Darum blieb er mit zusammengezogenen Absätzen an der Tür stehen, ohne zu grüßen.
    „Nun?“ knurrte der Oberförster.
    „Guten Morgen, Herr Hauptmann.“
    „'n Morgen! Verdammtes Zeug!“
    „Was? Die Holzdiebe?“
    „Holzdiebe! Dummkopf! Die Tabellen meine ich.“
    „Ja, das ist verdammtes Zeug, noch viel schlimmer als die Holzdiebe. Ich bin froh, daß ich nicht Oberförster bin; da lassen sie mich mit den Tabellen in Ruhe.“
    „Ha! Du und Oberförster!“ knurrte der Hauptmann grimmig. „Würdest auch außer den Tabellen lauter Dummheiten machen.“
    „Dummheiten? Ich? Straf mich Gott, Herr Hauptmann, das fällt mir gar nicht ein!“
    „Was? Nicht? War das gestern keine Dummheit?“
    „Was?“
    „Drüben im Teich!“
    „Ach, daß ich dem Kurt schwimmen lernen wollte?“
    „Ja. Ein fünfjähriger Bube und schwimmen! Wenn er nun ersäuft!“
    „Aber er wollte es ja lernen!“
    „Und du hast es ihm gezeigt?“
    „Ja.“
    „Kannst du es denn?“
    „Nein.“
    „Kerl! Du willst Schwimmstunde geben und kannst selbst nicht schwimmen? Das ist doch, hol mich der Teufel, die allergrößte Dummheit, die ich mir nur denken kann. Ich sage dir, wenn einer von euch beiden ersäuft und ich höre, daß es der Junge ist, so kannst du deine Seele Gott befehlen: wenn du es bist, so habe ich nichts dawider! Was bringst du?“
    „Es ist ein Herr unten, der mit dem Herrn Hauptmann sprechen will.“
    „Wer ist es?“
    „Er will sich nur dem Herrn Hauptmann selbst nennen!“
    „Dummheit! Hat er einen guten Rock an?“
    „Ja. Und eine Brille auf.“
    „Das zählt nichts bei mir. Heutzutage trägt jeder Windbeutel eine! Riecht er nach Schnaps?“
    „Hm! Ich habe ihn nicht angerochen.“
    „Was? Nicht? Ein anderes Mal riechst du ihn an! Verstanden? Schicke ihn herauf!“
    „Zu Befehl, Herr Hauptmann!“
    Ludewig entfernte sich, froh, seine Lektion überstanden zu haben, und bald trat der Fremde ein.
    Er war ein langer, dürrer Mensch, der eine große blauglasige Brille auf der Hakennase trug. Er trat ein, als ob er hier zu Hause sei, und fragte in

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