42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
die Leinen, und hißt die schwarzen Segel – hängt die Truggallione auf – klar mit den Kanonen – fertig zum Kampf!“
Diese Befehle brachten für mehrere Minuten ein wirres Durcheinander auf dem Schiff hervor; als dasselbe vorüber war, hatte die ‚Péndola‘ ein ganz verändertes Aussehen bekommen, so daß es fast unmöglich war, sie in dieser Verkleidung zu erkennen.
„Was meint Ihr, Maat, werden wir den Holländer einholen?“ fragte der Kapitän.
„Jedenfalls, Señor“, antwortete der Steuermann.
„Auch mit unserem veränderten Segelwerk?“
„Auch so. Ich habe sie bei der Abfahrt beobachtet. Wir machen fünf Knoten mehr als sie.“
„So können wir ihr in zwei Stunden zum Tanz aufspielen.“
Die ‚Jeffrouw Mietje‘ hatte unterdessen längst die hohe See erreicht und ging in ihrer gewöhnlichen ruhigen, nicht übereilten Weise direkt nach Norden. Später ging der Mond auf, und das Meer leuchtete in grünsilbernem Schimmer. Die Jeffrouw saß an ihrem gewöhnlichen Platz, um Strümpfe zu stricken; der Kapitän saß in der Kajüte, um seine Berechnungen einzutragen, und der Steuermann lehnte am Rad, mehr zurück als nach vorn blickend. Er hatte das gute Nachtrohr in der Hand. Da ertönte plötzlich seine laute Stimme:
„Heda, Niels!“
„Ja, Maat!“ lautete die Antwort.
„Spring schnell zum Kapitän hinab, er soll rasch heraufkommen!“
„Sogleich!“
Kaum eine Minute später stand der Kapitän bei dem Steuermann.
„Was gibt es, Maat?“ fragte er.
„Nehmt einmal das Rohr und blickt zurück in gerader Kielwasserlinie!“
Der Kapitän tat es, setzte einige Male ab, schaute wieder hin und sagte endlich:
„Ich will gekielholt sein, wenn das nicht ein Fahrzeug ist!“
„Kein Fahrzeug, Mynheer, sondern ein Schiff!“
Der Seemann macht nämlich einen Unterschied zwischen Schiffen und Fahrzeugen. Zu den ersteren rechnet er nur alle Arten der Dreimaster. Zwei- und Einmaster sind Fahrzeuge.
„Richtig!“ sagte der Kapitän, indem er abermals hindurchblickte; „es ist ein dreimastiges Schiff.“
„Aber welches, was für eines, Mynheer?“
„Wer weiß es! Fallt ein wenig nach Steuerbord ab, daß wir ihm unser Kielwasser nehmen. Vielleicht verliert er uns aus dem Gesicht.“
Der Steuermann gehorchte, aber es zeigte sich bald, daß das Schiff seine Richtung auch änderte.
„Holla, er hat es sicher auf uns abgesehen“, meinte Mynheer Dangerlahn.
„Ja. Und er segelt sehr gut. In einer halben Stunde ist er an unserer Seite.“
„Nehmt etwas mehr Leinwand auf, damit wir Zeit gewinnen. Wir wollen ihn empfangen.“ Und sich nach vorn wendend, kommandierte er: „Holla. Jungens, ein Pirat hinter uns! Nehmt die Enternetze nur hinten auf! Waffen her und gehacktes Blei in die Drehpassen. Jeder Mann erhält nach dem Kampf doppelte Ration und eine Flasche Rum!“
„Hurra!“ rief es vorn.
Wenn Kapitän Landola Zeuge der Vorbereitungen hätte sein können, welche jetzt auf der ‚Jeffrouw Mietje‘ gemacht wurden, so wäre es ihm wohl ein wenig sorglich um das Herz geworden. Die wackeren Niederländer und Friesen streiften ihre Hemdärmel empor, als ob es zum Spiel gehe. Es wurden riesige Äxte und Beile, die verschiedensten Arten von Stech-, Hiebwaffen und Schießgewehren herbeigeschafft, und die zwei Drehpassen lud man mit gehacktem Blei; dann deckte man sie zu, damit der Feind denken solle, daß man nicht mit Geschützen versehen sei.
Selbst Jeffrouw Mietje fühlte sich aus ihrem Gleichgewicht gebracht. Sie legte die Hände mit dem Strickstrumpf in den Schoß und sah den Vorbereitungen zu. Endlich erhob sie sich gar und stieg langsam hinunter in die Pulverkammer. Als sie zurückkam, trug sie ein Lastkörbchen, in welchem sich dunkle, birnenförmige Kugeln befanden, welche je mit einem Zünder versehen waren. Dies waren die berühmten japanischen Feuerkugeln, deren man sich bedient, um die malaiischen Seeräuber von sich abzuhalten, indem man ihre Prauen in Brand steckt.
„Sind es genug?“ fragte sie Mynheer.
„Ja“, antwortete er.
Er war es gewohnt, daß Jeffrouw sich mit am Kampf beteiligte, und ließ ihr also auch heute ihren Willen. Das fremde Schiff kam näher und näher. Es folgte noch immer gerade im Kielwasser, bog dann aber ein wenig aus und setzte noch ein Segel bei, um schneller heranzukommen. Jetzt segelte es beinahe Breite zu Breite, und nun gab es einen Schuß ab.
„Beidrehen!“ erklang eine helle, scharfe Stimme.
„Sehr wohl!“ antwortete Mynheer
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