42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
unter Eis!“
„Du hast mich doch immer kalt gebadet. Und der Ludewig sagte, daß man sehr gesund und stark wird, wenn man sich auch im Winter badet. Wenn ich jetzt nicht schwimmen lerne, so kann ich es nachher nicht, wenn im Sommer die richtige Zeit des Badens kommt.“
„Aber du kannst krank werden und sterben, mein Kind. Deine Mutter wird dann sehr weinen.“
Da wurde sein hübsches, trotziges Gesicht schnell freundlich; er trat auf die Mutter zu, legte die Arme um sie und sagte:
„Nein, Mama, du sollst nicht weinen; ich werde nicht in das Wasser gehen. Verlaß dich darauf!“
Sie küßte ihn, und nun schritt er so stolz von dannen, als sei er ein Fürst, der mit seinem glänzenden Gefolge zur Reiherbeize ausreitet. Er kam gerade zur rechten Zeit, den Ludewig mit noch einigen Forstläufern bereit zu finden. Sie führten einige Dachshunde an der Leine.
Ihr Weg ging durch den dichten Wald. Das Fragen des Knaben hatte kein Ende, und die Burschen mußten sich Mühe geben, seinen Wissenstrieb zu befriedigen. In diesem Jungen stak eine Entwicklungsfähigkeit, die ihm, wenn keine Störung eintrat, eine nicht gewöhnliche Zukunft sicherstellte. Er gehörte sichtlich zu den von Gott hochbegnadeten Naturen, welche bestimmt sind, einen Lebensweg zu wandeln, der sich durch außerordentliche Stationen auszeichnet.
Es war ein milder, klarer Wintermorgen. Die Sonne meinte es gut; ihre warmen Strahlen hatten im freien Feld den Schnee hinweg geleckt, aber im tiefen Forst lag er noch immer wenigstens einen halben Schuh tief, und Kurt mußte tapfer stampfen, um mit den anderen vorwärts zu kommen. Sie erreichten den Eichenbühl und gerieten da bald auf die Fährte des Fuchses. Die Hunde zerrten gewaltig an den Leinen, mußten aber die Ungeduld zügeln, bis man den Bau umgangen und sich überzeugt hatte, daß der Fuchs ihn nicht verlassen habe. Allem Anschein nach war es ein familienloser Einsiedler, der es vorzog, sein Winterquartier für sich allein zu behalten.
Nachdem die Nebenröhren verstopft worden waren, so daß nur der Haupteingang freiblieb, wurden die Hunde losgelassen. Sie verschwanden augenblicklich unter der Erde. Nun stellten sich die Schützen an. Kurt erhielt den Ehrenplatz seitwärts des Auslaufes, wo er sich stolz in Positur stellte.
„Schieß nur nicht etwa einen der Hunde!“ warnte der Jäger Ludewig. „Das wäre ein ganz armseliger Schuß dahier.“
Er hatte nämlich die Gewohnheit, das Wort ‚dahier‘ übermäßig oft in Anwendung zu bringen, und zwar zumeist dann, wenn es ganz und gar nicht am richtigen Ort war.
Kurt zog eine sehr wegwerfende Miene und antwortete:
„Einen solchen Hundeschuß überlasse ich Euch!“
Um sich nicht zu ermüden, duckte er sich auf den Boden nieder, steckte einen Gabelzweig in die Erde und legte den Lauf seines Gewehres in die Gabel. Man hörte das Kläffen der Dachshunde unter der Erde; es blieb am Ort fest; sie hatten den Fuchs also gestellt. Ein zorniges Heulen bewies, daß er sich tapfer wehrte; es war ein alter Bursche, der den Hunden zu schaffen machte.
Da erhob sich unter der Erde ein wahrer Heidenspektakel, welcher sich durch verschiedene Gänge zog. Sie hatten den Fuchs gezwungen, den Kessel zu verlassen.
„Aufgepaßt, Kurtchen, jetzt kommt er!“ mahnte Ludewig und richtete den Lauf seiner Büchse nach dem Haupteingang.
Kurt lag noch immer am Boden. Er hörte genau, nach welcher Richtung der Lärm sich zog. Ein schmerzliches Jauchzen war zu hören; einer der Dachsel war gebissen worden. Einen Augenblick später flog ein dunkler Gegenstand aus dem Loch heraus.
„Der Fuchs!“ rief Ludewig.
Zugleich mit diesem Ruf krachte seine Büchse, und das Tier, zu Tode getroffen, überschlug sich. Zu ebenso gleicher Zeit aber war Kurt aufgesprungen und hatte den Lauf seines Gewehres nach einer ganz anderen Gegend gerichtet; sein Schuß krachte mit demjenigen des Jägers, so daß es klang, als sei nur ein einziger gefallen.
„Ich habe ihn dahier!“ rief Ludewig und sprang auf das Tier zu, welches er geschossen hatte; aber bereits beim zweiten Schritt blieb er erschrocken stehen. „Donnerwetter, was ist denn das!“ fluchte er.
„Die Waldina!“ antwortete einer der Buschen.
„Weiß Gott, die Waldina! Ich habe die Waldina dahier erschossen! Das ist ja nicht nur ein Hunde-, sondern sogar ein reiner Sauschuß! So etwas ist mir noch gar nicht passiert dahier! Aber wie kann denn der Hund vor dem Fuchs ausfahren?“
„Weil er gebissen worden ist!“
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