42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
Herrn Hauptmann einsperrt und den guten Sternau dazu! Also du denkst, es kann sie niemand aus dem Loch herausholen, he?“
„Niemand. Man muß dahier die Sache ruhig abwarten.“
„So warte!“
Er wollte gehen, aber Ludewig hielt ihn zurück.
„Höre, mach keine Dummheiten! Es sollte mich dauern, denn ich bin dir Dank schuldig.“
„Dank? Wofür?“
„Daß du dem Herrn Hauptmann sein Ehrenwort abverlangt hast wegen der Waldina.“
„Das habe ich gern getan.“
„Gut, so will ich dir auch einmal ein Ehrenwort abverlangen.“
„Welches?“
„Daß du wegen der Gefangenen keine Dummheiten machst!“
„Das gebe ich dir, Ludewig. Hier ist meine Hand; ich mache ganz sicher keine Dummheiten!“
„Schön, mein Junge. Nun kann ich ruhig sein dahier!“
Kurt ging. Er kehrte nach dem Vorwerk zurück und hielt unterwegs ein kleines Selbstgespräch:
„Ich kann das Ehrenwort schon geben, denn es sind ja keine Dummheiten, die ich machen will. Ich werde mir mein Pferdchen satteln lassen und nach Mainz reiten. Das Gebäude, wo die vielen Gitter sind, weiß ich ganz gut. Und wenn ich die Flinte nicht mitnehmen darf, so nehme ich den Revolver mit. Wie gut, daß ich ihn gestern geschenkt bekommen habe, und wie gut, daß mir Ludewig noch gestern gezeigt hat, wie man damit schießt! Er ist geladen. Ich schieße diesen Staatsanwalt tot, wenn er sie nicht sogleich fortläßt!“
Er ging zunächst in seine Wohnung, um sich zu vergewissern, daß ihm die Mutter nicht hinderlich sein könne. Sie hatte in der Küche zu tun. Er setzte das grüne Hütchen auf und ging in den Stall. Dort stand das kleine schottische Bergpferdchen, welches ihm der Hauptmann geschenkt hatte. Es war kaum größer als ein tüchtiger Ziegenbock und lief ihm nach wie ein Hund. Die Magd war im Stall.
„Höre, Pauline“, sagte er, „bist du mir gut?“
„Das versteht sich!“ antwortete das Mädchen.
„So sattele mir einmal den Hans.“
„Wo willst du hin?“
„Ich soll mit dem Ludewig ausreiten.“
„Weiß es die Mama?“
„Ja, aber sie hat keine Zeit.“
„Gut, so will ich es machen.“
Der sonst so ehrliche Knabe hielt es für keine Sünde, zu dieser hochwichtigen Angelegenheit einmal eine Lüge zu sagen. Es galt doch, ein gutes, tapferes Werk zu vollbringen. Die Magd sattelte das Pferdchen und führte es ihm vor die Tür. Den Revolver hatte er bereits vorher in der Stube zu sich gesteckt. Er stieg auf, nahm die Zügel in die Hand und trabte von dannen.
Es war ein gar niedlicher Anblick, den kleinen Kavalleristen zu sehen, und mancher, der ihm auf der Straße begegnete, blieb stehen, um ihm erstaunt nachzusehen. In der Stadt aber gab es noch mehr Leben und also auch mehr Bewunderer, und er wurde ordentlich stolz, als er so viele Blicke auf sich gerichtet sah.
Vor dem Gerichtsgebäude hielt er an und stieg ab. Er band den Zügel seines Pferdchens an den Blindklopfer des einen Torflügels und trat ein.
Im Flur traf er einen Mann, der eine Uniform trug; es war einer der Schließer.
„Wo ist der Staatsanwalt?“ fragte er ihn beherzt.
„Was willst du denn bei ihm, Kleiner?“
„Ich habe ihm etwas zu sagen“, antwortete er klug.
„Wohl einen Auftrag?“
„Ja.“
„Hier hinauf und in das Anmeldezimmer; da sagst du es noch einmal.“
Kurt stieg die Treppe empor und öffnete die Tür. In der Anmeldestube saßen viele Leute, welche auf ihre Abfertigung warteten, und hinter dem Gitter saß der Amtswachtmeister, der zufälligerweise den Knaben eintreten sah.
„Was willst du?“ fragte auch er.
„Ich will zum Staatsanwalt.“
„Du, Junge!“ sagte der Beamte verwundert. „Was willst du denn bei dem Herrn?“
„Ich habe einen Auftrag.“
„Ach so! Ist es notwendig?“
„Sehr!“
Der Wachtmeister glaubte, es handele sich um eine Familienangelegenheit, und ging, den Knaben anzumelden. Diesem wurde es in der düstern Stube doch ein wenig bange, aber er dachte daran, daß er den Herrn Hauptmann und den Herrn Doktor Sternau ja liebhabe und daß er sie beide aus dem Loch holen wolle; das frischte seinen bereits sinkenden Mut wieder auf.
Da trat der Wachtmeister wieder ein.
„Hier herein, Kleiner!“ sagte er.
Kurt trat in dasselbe Zimmer, von dem der Staatsanwalt gesagt hatte, daß es sein Arbeitszimmer sei. Der Beamte war aus der Nebenstube hereingekommen, und sein Gehilfe saß schreibend am Tisch.
„Was bringst du mir, mein Sohn?“ fragte der Anwalt.
Bei dem aus Gewohnheit scharfen und durchdringenden
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