42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
Blick des Fragenden sank der Mut des Knaben abermals ein wenig, aber er erinnerte sich herzhaft an sein Vorhaben und antwortete:
„Bist du der Staatsanwalt?“
„Ja, der bin ich.“
„Da bist du ein sehr böser Mann!“
Durch diese offene Erklärung hob sich die Energie des Kleinen um ein bedeutendes. Der Anwalt erstaunte und sagte:
„Warum?“
„Weil du die Leute in die Gefängnislöcher steckst.“
„Was geht das dich an!“
Bei diesen scharfen Worten fühlte der Knabe einen Zorn, der ihm seine ganze Kraft wiedergab.
„Mich, mich geht das sehr viel an, denn du hast zwei eingesteckt, die ich sehr lieb habe!“
„Wer ist es denn?“
„Der Herr Hauptmann und der gute Onkel Sternau.“
„Ah!“ dehnte der Beamte. „Wer bist du?“
„Ich bin der Kurt Helmers.“
„Woher?“
„Aus Rheinswalden.“
„Und was willst du?“
„Ich leide es nicht, daß sie in dem Loch stecken!“
„Ah, du willst wohl gar mit mir zanken?“
„Ja. Aber vorher will ich ganz artig sein und dich bitten, sie freizulassen. Sie haben nichts Böses getan.“
„Und wenn ich sie nun trotzdem nicht freigebe?“
„Oh, so werde ich dich zwingen!“
„Wodurch?“
„Wenn du sie nicht auf der Stelle freigibst, so erschieße ich dich, ja, so erschieße ich dich!“
„Junge, du bist des Teufels!“
„Nein, ich bin nur mutig!“
„Aber wenn du mich erschießt, so wird man auch dich einstecken!“
„Das schadet nichts, denn dann hast du doch deinen Lohn, und ich bin bei ihnen im Gefängnis.“
„Und womit willst du mich denn erschießen?“
„Mit diesem Revolver.“ Er griff in die Tasche und zog ihn heraus.
„Wahrhaftig, dieser Knabe macht ernst!“ rief der Staatsanwalt.
„Oh, du dachtest wohl, ich mache Spaß? Da kennst du mich schlecht; ich erschieße dich wirklich!“
„Ist er denn geladen?“
„Das versteht sich! Also ich frage dich zum letzten Mal: Willst du sie freigeben oder nicht?“
Der Gehilfe war aufgesprungen, um ein mögliches Unglück zu verhüten, der Anwalt jedoch warf ihm einen beruhigenden Blick zu, sich nicht in die interessante Sache zu mengen, und sagte jetzt:
„Nun, ich beginne wirklich, mich vor dir zu fürchten. Wirst du mir aber auch nichts tun, wenn ich sie loslasse?“
„Nein, dann tue ich dir gar nichts, ja ich werde mich sogar noch schön bei dir bedanken.“
„Das ist ganz schön und prächtig von dir, und weil du so ein wackerer Kerl bist, so werde ich deinen Wunsch erfüllen und sie freigeben.“
„Aber gleich, sofort!“
„Natürlich!“
„Kann ich mich auch darauf verlassen?“
„Das versteht sich!“
Da steckte Kurt mit stolzer und befriedigter Miene das Mordwerkzeug ein und sagte:
„Ich wußte es doch, daß man sich fürchten würde. Nun soll der Ludewig nur noch einmal sagen, daß es eine Dummheit ist, in die Stadt zu gehen und den Staatsanwalt totzuschießen.“
„Hat er das gesagt?“
„Ja, dieser Esel!“
„Na, es fehlte nicht viel, so hätte er recht gehabt. Aber der Herr Hauptmann und der Onkel Sternau sind mit ihrer Gefangenschaft ja ganz zufrieden gewesen. Es hat ihnen ganz prächtig gefallen.“
„Das glaube ich nicht!“
„Sie haben es ganz gut gehabt. Soll ich dir einmal zeigen, wo sie waren und was sie taten?“
„Ja, ich bitte dich!“
Er führte ihn in das Kabinett. Die beiden Männer waren nicht wenig verwundert, als sie ihn sahen, und auch er zog ein höchst eigentümliches Gesicht, als er sie bei Wein und Zigarren sitzen sah.
„Alle Wetter, Kurt! Was willst du hier?“ fragte der Hauptmann.
„Euch freimachen“, antwortete er kurz.
„Freimachen? Bist du bei Trost!“
„Ja. Ich habe den Herrn Staatsanwalt gezwungen, euch sofort aus dem Gefängnis zu entlassen.“
„Kerl, ich glaube gar, du hast hinter unserem Rücken eine schauderhafte Eselei begangen!“
„Ist es eine Eselei, wenn man den Staatsanwalt totschießt, wenn er nicht gehorchen will?“
Da sprang der Hauptmann erschrocken auf und ließ sich von dem Staatsanwalt den Vorgang erzählen.
„Herrgott, Junge, du bist ja ganz und gar von Sinnen!“ rief er dann. „Wir sind ja gar keine Gefangenen gewesen! Was konntest du in deiner Dummheit für Unheil anrichten! Ich werde dich viel, viel kürzer an die Zügel nehmen müssen!“
„Zürnen Sie ihm nicht, Herr Hauptmann“, bat der Staatsanwalt. „Der Vorgang hat allerdings seine bedenklichen Punkte, aber“ – fügte er lächelnd hinzu – „Sie glauben doch nicht, daß mein Leben in Gefahr
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