42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
entschlossen.
„Warum?“
„Ich muß um Verzeihung bitten, nicht du, und ich habe es ja noch gar nicht getan.“
Da beugte sie sich zu ihm hernieder, nahm ihn in ihre Arme und küßte ihn. Ihr Herz jubelte hoch empor. Sie war eine einfache, ungelehrte Frau, aber sie fühlte, daß sie in ihm einen Schatz besaß, für den viele andere Millionen gegeben hätten. Für diese Kinderseele war der Irrtum nur ein Weg zur inneren Reinigung.
„Ja, du sollst mitgehen“, sagte sie. „Aber du machst es auch ganz gewiß nicht wieder?“
„Niemals, Mama; glaube es mir!“
„So will ich dir auch gleich eine recht große Freude machen. Ich habe einen Brief erhalten, einen lieben, guten Brief. Rate einmal, von wem!“
Der Knabe sprang vor Freude empor, schlug die Hände zusammen und rief: „Vom Papa!“
„Ja. Ich hätte gar nicht gewußt, daß du fort warst, aber ich suchte dich, um von dem Brief es dir zu sagen. Aber das Beste kommt noch. Rate einmal, was er uns schreibt, Kurt.“
„Oh, er schreibt am Ende gar, daß er kommen will! Habe ich richtig geraten, liebe Mama?“
„Ja, mein Sohn, er kommt!“ rief sie mit seliger Freude in ihrem guten Angesicht.
„Juchhei, der Vater kommt, juchhei!“
Mit diesem Ruf tanzte der Junge im Hof umher und war nicht eher wieder zu beruhigen, als bis ihn die Mutter aufforderte, sogleich mit nach dem Schloß zur Abbitte zu gehen.
Als sie hinüberkamen, konnten sie leider nicht vorgelassen werden, sondern mußten unverrichteter Sache zurückkehren, da die Herrschaften nicht gestört sein wollten, die sich alle in der Krankenstube befanden. Diese war das schönste Zimmer des Schlosses, geräumig und sehr bequem ausgestattet. Es hatte Platz für viele, und das war in diesem Augenblick auch notwendig, denn es befanden sich da außer der Kranken und ihrem Arzt der Hauptmann, der Staatsanwalt, Frau und Fräulein Sternau und Alimpo mit seiner Elvira.
Auch der unter seinen Aktenstücken weniger empfänglich gewordene Anwalt hatte sich, als er eintrat, durch den Anblick der Gräfin außerordentlich erschüttert gefühlt. Sie lag vor dem Sofa und betete. Sie merkte nichts von dem Eintritt so vieler Menschen, und man ließ sie gewähren. Jetzt saß der Anwalt am Tisch und nahm das Protokoll auf. Er empfand für diesen Fall eine Teilnahme wie noch nie und ein zwingendes seelisches Bedürfnis, hier aus allen Kräften Hilfe zu spenden.
Als er das Protokoll vorgelesen, unterzeichnet und dem Arzt übergeben hatte, zog dieser eine kleine Phiole hervor, deren Inhalt er genau gegen das Licht betrachtete.
„Dies ist das Gift?“ fragte der Anwalt.
„Ja. Sie werden es sehen, wenn ich es verdünne.“
„Ich meine immer, daß Sie dieses unheimliche Mittel nur unter Beisein der hervorragendsten Irrenärzte in Anwendung bringen sollten.“
„Sie zweifeln an mir? Ich bin überzeugt, daß diese Männer alle sich gegen die Anwendung eines so heroischen Mittels aussprechen würden. Sie würden es vorziehen, die Kranke feig im Wahnsinn verkümmern zu lassen.“
„Nein, so war meine Bemerkung ja nicht gemeint! Ich wünschte nur, daß Sie vor diesen wissenschaftlichen Kapazitäten bewiesen, daß Sie ihnen allen überlegen sind. Wenn ich Sie so ruhig vor mir stehen sehe, so ist es mir, als könnte man Ihnen tausend Leben anvertrauen.“
„Oh, glauben Sie mir“, sagte Sternau mit leise vibrierender Stimme, „daß diese Ruhe mir nicht leicht wird. Ich sehe das köstlichste Gut, welches ich besitze, in die Nacht des Wahnsinns verfallen; ich wende ein Mittel an, welches allein nur helfen kann und mit dem ich selbst noch niemals operierte. Es steht hier nicht eine einfache Heilung, sondern es steht die Gewinnung eines großen Prozesses, die Bestrafung bestialischer Verbrecher, es steht mein ganzes, ganzes Heil und Glück auf dem Spiel. Meine Seele bebt und zittert, aber mein Körper muß ruhig und still sein, wie es dem Arzt ziemt. Ich vertraue nicht mir, sondern der Wissenschaft und der Hilfe Gottes!“
Da streckte der Anwalt, dem eine Träne im Auge stand, ihm die Hand entgegen.
„Herr Doktor“, sagte er, „ich wünsche Ihnen das Gelingen ebenso herzlich, als wenn ich mich an Ihrer eigenen Stelle befände!“
„Ich auch!“ meinte der Oberförster. „Guckt mich alten Kerl nur nicht an, denn ich muß mich schämen. Da läuft mir das Wasser aus den Augen wie einem Schuljungen, der geprügelt worden ist. Wenn die Gräfin nicht geheilt wird, so renne ich nach Spanien und sprenge, beim Teufel,
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