42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
hinunter in den Hof, um nach dieser Aufregung einen Mundvoll frischer, stärkender Luft zu atmen. Da stand Ludewig und kam auf ihn zu.
„Wie steht es, Herr Alimpo, gut oder schlimm?“ fragte er.
„Rien comprends“, lautete die Antwort.
„Ich meine die Gräfin!“
„Rien comprends!“
Da faßte der Jäger den Spanier beim Arm und zog ihn hinüber nach dem Vorwerk, wo er den kleinen Kurt sogleich fand.
„Nicht wahr, du kannst mit diesem Alimpo reden, Kurt?“ fragte er diesen.
„Ja.“
„Willst du einmal den Dolmetscher machen?“
„Ja.“
„So sage ihm, er soll uns erzählen, wie es jetzt bei der Gräfin abgelaufen ist.“
Die drei setzten sich auf die Bank im Hof, auch Frau Helmers und die Magd kamen dazu, und es dauerte nicht lange, so berichtete Alimpo weinend die ganze Begebenheit, und die anderen alle weinten ebenso herzlich mit, obgleich die Übersetzung des Knaben eine sehr mangelhafte war.
Von dieser Stunde an vergingen ein Tag und noch ein halber. Es herrschte auf Rheinswalden eine Stille wie im Grab. Man trat unhörbar auf, und man sprach nur leise; ja der Oberförster hatte sogar einem Burschen, der einen anderen unten im Hof laut gerufen hatte, eine Ohrfeige gegeben und nur auf sehr eifriges Bitten nicht aus dem Dienst entlassen. Alle Stunden gingen Krankenbulletins von Mund zu Mund. Es war ein Hangen und Bangen wie vor dem Urteilsspruch eines Richters, wenn man noch nicht weiß, ob das Verdikt auf schuldig oder unschuldig lautet.
Am zweiten Tag kam der Steuermann an. Auf dem Vorwerk herrschte große Freude; sie wurde aber gedämpft durch die auf dem Haus lastende Schwere der Erwartung. Er hatte leise und fast heimlich seine Besuche gemacht, aber Sternau noch nicht gesehen. Des Tages nach Tisch saß er mit Frau und Kind in seiner Stube und ließ sich die Ereignisse der letzten Tage schildern.
„Wie heißt denn die Gräfin?“ fragte er.
„Rosa“, antwortete seine Frau.
„Der Familienname?“
„Rodri – Rodri – ich kann mir das Wort nicht merken.“
„Roderwanda“, fiel Kurt ein.
„Roderwanda?“ fragte der Vater nachdenklich. „Hm! Und eine Spanierin ist sie?“
„Ja.“
„Sollte es vielleicht Rodriganda heißen statt Roderwanda?“
„Ja, ja, so heißt es, so!“ sagte Kurt.
„Wirklich?“
„Ja, jetzt besinne ich mich auch“, stimmte die Mutter bei. „Kennst du diesen Ort?“
„Nein, aber ich habe davon gehört. Hm! Wunderbar!“
„Was denn?“
„Und dieser Doktor Sternau ist unschuldig gefangen gewesen?“
„Ja. Frau Sternau erzählte es mir.“
„Wo?“
„In – in – in einer Stadt, deren Name so klingt wie Porzellan.“
„Barcelona meinst du wohl?“
„Ja, ja, das ist es!“
„Wahrhaftig, das wäre wunderbar!“ sagte der Steuermann nachdenklich.
„Was ist's denn? Was hast du?“
„Weißt du nicht, weshalb man ihn gefangengenommen hat?“
„Man hat es ihm gar nicht gesagt.“
„Doch etwa nicht wegen eines Mannes, der von Rodriganda verschwunden ist?“
„Nein. Aber – aber – mein Gott, was weißt denn du davon? Von Rodriganda ist wirklich einmal einer verschwunden. Frau Sternau erzählte es.“
„Ah! Wer war es?“
„Ein Husarenlieutenant.“
„Hm! Hat man keine Ahnung, wohin er gekommen ist?“
„Nein. Aber warte, da fällt mir ein: Doktor Sternau glaubt, daß er auf ein Schiff geschleppt worden ist.“
„Alle Wetter, jetzt fängt es an zu stimmen! Wie hieß das Schiff?“
„Das hat Frau Sternau nicht gesagt.“
„Gewiß nicht? War es nicht die ‚Péndola‘? Besinne dich genau?“
„Ich weiß es gewiß, daß sie keinen Namen genannt hat.“
„Auch nichts Weiteres hat sie gesagt?“
Die Frau des Steuermanns besann sich ein Weilchen; dann sagte sie lebhaft:
„Halt, jetzt fällt es mir ein: Es soll ein Advokat die Hand dabei im Spiel gehabt haben!“
„Wie hieß er?“
„Ich habe mir den Namen nicht gemerkt; er war so fremd und schwer.“
„Hieß er Gasparino Cortejo?“
„Wahrhaftig, das muß er gewesen sein! Aber, Mann, wie hast du das alles erfahren?“
„Das werde ich dir noch erzählen. Jetzt sage vor allen Dingen, ob man wirklich gar nicht mit Doktor Sternau sprechen kann.“
„Nein, gar nicht.“
„So muß ich warten, bis er sich wieder sehen läßt.“
„Es ist wohl etwas sehr Wichtiges?“
„Ungeheuer wichtig, wenn sich meine Ahnung erfüllt.“
„Und ich darf es nicht hören?“
„Jetzt noch nicht. Ich weiß nicht, ob der Doktor es haben will, daß ich davon
Weitere Kostenlose Bücher