42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
leiden sollen?“
„Man schrieb die Krankheit dem Staphylion (einem dem Weinbeerkernchen ähnlichen Geschwür an der Augenhaut) zu.“
„Hm, man hatte unrecht! Ihre Krankheit besteht in dem grauen Star, in einer allerdings außerordentlich seltenen Verbindung mit derjenigen perlmutterartig glänzenden Trübung der Hornhaut, welche wir Ärzte Leucoma nennen.“
„Und ist dieser Zustand heilbar?“ fragte der Graf fast atemlos.
„Bis vor kurzem wurde er allerdings für unheilbar gehalten; mir ist aber die Herstellung mehrerer Patienten bereits geglückt. Ich entfernte das Leucoma mittels fortgesetzter Punktation mit der Starnadel und operierte dann den darunter befindlichen grauen Star. Wollen Sie sich mir anvertrauen, Erlaucht, so gebe ich Ihnen mit dem besten Gewissen die Hoffnung, das Licht Ihrer Augen zwar nicht in seiner ganzen früheren Schärfe und Stärke, aber doch so weit wiederzugewinnen, daß Sie mittels der Brille sehen können.“
Der Graf streckte seine Arme zum Himmel empor und rief:
„O mein Gott, wenn dies möglich wäre!“
Und Rosa sank vor Entzücken weinend an seine Brust und bat mit Schlucken:
„Vater, vertraue ihm! Es kann dir keiner helfen – nur er allein!“
„Ja, ich will deiner Stimme gehorchen; ich will mich ihm mit allem Vertrauen übergeben, meine Tochter!“ entschied der Graf. „Hier, Señor, haben Sie meine Hand! Sie haben Ihr Werk heute so fromm mit Gott angefangen und werden es auch mit Gottes Hilfe vollenden. Alfonzo, mein Sohn, willst du dich nicht mit uns freuen?“
Der junge Graf versuchte, sein Gesicht zu beherrschen, und antwortete: „Ich wäre ganz glücklich, dich wieder gesund und sehend zu wissen; aber ich bedenke auch, wie äußerst leichtsinnig und gefährlich es ist, Hoffnungen zu erwecken, welche dann nicht in Erfüllung gehen. Der Kranke muß sich dann zehnfach unglücklich fühlen.“
„Gott wird gnädig sein! Wie lange Zeit wird die Behandlung in Anspruch nehmen, Señor?“
„Der Stein ist, da Sie erst an den Bohrer gewöhnt werden müssen, unter zwei Wochen nicht zu entfernen“, antwortete Sternau. „Erst dann, wenn Sie von dieser Operation vollständig gekräftigt sind und Ihr Allgemeinbefinden nichts befürchten läßt, können wir an die Behandlung des Auges gehen, welche allerdings eine bedeutend längere Zeit in Anspruch nehmen wird.“
„Aber können Sie so lange hier verweilen, Señor?“
„Ich müßte mich von Professor Letourbier für längere Zeit beurlauben oder gar verabschieden lassen.“
„Verabschieden Sie sich! Ja, verabschieden Sie sich“, bat der Graf, „Sie sollen bei mir eine Heimat finden und reichlichen Ersatz für alles, was Sie in Paris verlassen!“
„Mein bester Lohn soll das Bewußtsein sein, Ihnen die Gesundheit Ihres Körpers und das Licht Ihrer Augen wiedergebracht zu haben, Erlaucht. Ich werde also noch heute dem Professor schreiben.“
„Tun Sie das! Sie wohnen natürlich bei mir, Señor. Rosa mag Ihnen Ihre Zimmer sogleich anweisen.“
„Dazu haben wir ja den Kastellan“, bemerkte Alfonzo hämisch.
„Ja, richtig“, meinte der Graf. „Ich dachte in meiner Freude nicht daran.“
„Auch ich bin Señor Alfonzo für seine Erinnerung dankbar“, sagte Sternau stolz, „da es nicht im mindesten meine Absicht ist, in den hiesigen Verhältnissen um meinetwillen eine Revolution hervorzubringen.“
„Und doch hat sie bereits begonnen“, entgegnete der junge Graf wegwerfend. „Unsere Ärzte können diese Wohnung nicht verlassen, weil es Ihnen beliebt, den Schlüssel zu sich zu nehmen.“
„Ah, wahrhaftig, das habe ich vergessen, ich werde sofort öffnen!“
Er verabschiedete sich von dem Grafen und eilte hinaus, wo er allerdings die drei Spanier fand, die ihn mit finsteren, haßerfüllten Blicken maßen.
„Señor“, raunte ihm Francas zu, „Sie haben den Kampf mit uns begonnen! Wir werden ihn fortsetzen, und zwar so kräftig und so lange, bis Sie unterliegen und uns um Gnade bitten. Sie werden kein Erbarmen finden!“
„Pah!“
Nur dieses eine Wort gab er zurück, dann schob er den Sprecher beiseite und öffnete die Tür. Er selbst schritt voran, um sich direkt nach seiner bisherigen Wohnung zu begeben. Bei seiner späteren Rückkehr nach dem Schloß fand er dann jedenfalls seine Zimmer bereit.
Nur kurze Zeit später saßen in dem Gemach der frommen Schwester Clarissa wieder drei Männer hinter verschlossenen Türen: Graf Alfonzo, Doktor Francas und der Notar Gasparino. Die beiden
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