Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
wenn er ausspuckte, bildete sich auf dem Stein ein dunkler blutroter Punkt, der diese Farbe von dem ausgestoßenen Lebenssaft erhalten hatte.
    So schlich er sich weiter und weiter, immer tiefer in die Schluchten hinein. Er konnte vor Erschöpfung kaum fort, aber immer wieder zwang er die brennenden Füße weiter, als werde er von einem mitleidslosen Verhängnis oder einem grausamen Fluch über diese Einöden getrieben.
    Endlich, endlich blieb er stehen und warf den Blick forschend umher.
    „Hier muß es sein“, murmelte er. „Hier ist es gewesen! Hier wurden die Knaben umgetauscht; von hier ging ich hinüber nach Mexiko, und von hier beginnt die Qual, welche mir das Mark aus den Knochen und das Leben aus dem Herzen fraß. Hier werde ich ausruhen.“
    Er ließ sich auf dem glühendheißen Stein nieder und senkte den Kopf in die beiden Hände. Es war kein Laut umher zu vernehmen. Nur das Keuchen und Husten seiner kranken Brust unterbrach die ringsum herrschende Stille.
    „O santa mater dolorosa“, ließ er sich endlich wieder vernehmen, „was habe ich gesündigt; wie wurde ich belohnt, und was hatte ich von dem Verbrechen! Jetzt habe ich mich über Länder und Meere gebettelt, um den Himmel zu versöhnen und meinen armen Kopf in das Grab zu legen. Herrgott im Himmel, vergib mir! Laß mich nicht umsonst suchen. Laß mich finden, damit ich nicht zur Hölle fahre! Hu, die Hölle! Fühle ich sie nicht schon jetzt in meinen Adern, in meinem Hirn, in allen meinen Gliedern?“
    Wieder schwieg er, um eine geraume Weile hustend nachzugrübeln. Dann begann er abermals:
    „Aber – ob er noch lebt? Hätten sie ihn getötet, den schönen Knaben, der schlafend in meinem Schoß lag wie das Heilandskind in den Armen der heiligen Madonna gloriosa! Es wäre schrecklich! Nein, ich halte diese Ungewißheit nicht aus! Ich muß auf und fort, da links hinüber, wo die Gegend ist, in welcher die Räuber ihr Versteck hatten. Aber keiner darf mich erkennen; keiner darf ahnen, wer ich bin und was ich hier bei ihnen will. Sie werden mich nicht von sich stoßen, sie werden mich, den Kranken, den Sterbenden, bei sich aufnehmen, und ich werde bald erforscht haben, ob er noch lebt, den ich suche. Vorwärts, ihr müden Füße! Noch einen Weg nur sollt ihr tun, und dann werdet ihr ausruhen für immerdar!“
    Er erhob sich mühsam und setzte seine Wanderung weiter fort. Während er sich bisher möglichst gerade nach Süden gehalten hatte, wandte er sich jetzt einer mehr östlichen Richtung zu. Die Längstäler verloren sich; er hatte jetzt tiefe Seitentäler und kurze, schroffe Felsenmauern zu überwinden; er hustete und keuchte, er ächzte und stöhnte, aber er gönnte sich keinen Augenblick Ruhe, bis er einen Streifen erfrischendes Grün vor sich erblickte. Er hatte die Grenzen der Öde hinter sich und gelangte nun zu Bergen, welche zunächst von niederem Gestrüpp, bald aber auch von Büschen und endlich gar von einem dichten Baumwuchs bestanden waren.
    Zwischen diesen Büschen und Bäumen kletterte er empor, bis er einen freien, rings von hohen Sträuchern eingefaßten Platz erreichte, auf welchem er sich niederließ. Kaum aber hatte er dies getan, so vernahm er Schritte hinter sich, und noch ehe er Zeit gehabt hatte, sich umzudrehen, fühlte er eine feste Hand auf seiner Schulter, und eine barsche Stimme fragte:
    „Was willst du hier, Alter?“
    „Sterben!“
    Nur dieses eine Wort antwortete er, dann ließ er den Kopf, welchen er erhoben hatte, wieder niedersinken.
    „Sterben? Warum?“
    Der Frager war ein junger, kräftiger Mann, der infolge der Waffen, welche er trug, nicht gut für den friedlichen Bewohner einer Stadt oder eines Dorfes gehalten werden konnte.
    „Weil ich nicht weiterkann“, antwortete der Kranke.
    „Warum kommst du hierher? Was suchst du hier?“
    „Ich suche schon viele, viele Tage lang in den Bergen nach einer Wurzel, die mein Leiden heilen kann, aber ich habe sie noch nicht gefunden.“
    „Wo bist du daheim?“
    „Weit von hier, bei Orense, nicht weit von Portugal.“
    „So weit wagtest du dich fort mit deiner Krankheit? Hast du Brot bei dir?“
    „Nein.“
    „Nichts, gar nichts? Heilige Mutter Gottes, da wirst du ja verhungern, ehe du an der Auszehrung stirbst! Wart, ich werde fragen, ob ich dich bringen darf!“
    Er verschwand hinter den Büschen, kehrte aber bald wieder zurück.
    „Wenn du dir die Augen verbinden lassen willst, so werde ich dich an einen Ort bringen, an dem du ausruhen und dich

Weitere Kostenlose Bücher