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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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stand vor Sternau, welcher aus der Dichtung getreten war, um sie zu begrüßen.
    Sie streckte, wie in froher Überraschung, die Arme aus, zog sie aber sogleich wieder zurück, während eine tiefe, glühende Röte ihre Wangen färbte.
    „Señor“, sagte sie, als ob sie sich entschuldigen wolle. „Ihr Erscheinen war so plötzlich – ich hatte Sie nicht erwartet!“
    „Verzeihung, Doña Rosa!“ antwortete er. „Ich kam durch den Wald und erblickte Sie. Da hielt ich es für meine Schuldigkeit, Ihnen zu zeigen, daß Sie nicht allein sind.“
    „Der Notar hat nach Ihnen gefragt.“
    „Ich ahnte es. Ich habe mich verspätet und werde mich nun beeilen.“
    „Wollen Sie mich mitnehmen?“ fragte sie, abermals errötend.
    „Gern.“
    Er warf die Büchse auf den Rücken und bot ihr seinen Arm. Sie legte ihre Hand auf denselben, und so schritten sie dem Park und dem Schloß zu.
    „Wissen Sie, daß die drei Ärzte abreisen werden?“ fragte sie in dem Bemühen, ein unverfängliches Gespräch zu beginnen.
    „Ah!“ antwortete er. „Das ist mir nicht lieb. Ich hege keine Feindseligkeit gegen sie und habe sehr gewünscht, ihnen zeigen zu können, daß Don Emanuel gesund und sehend wird.“
    „Glauben Sie wirklich, daß der Vater das Licht der Augen wiedererhält?“
    „Ich bin beinahe überzeugt davon!“
    „Und diese Männer haben es noch heute bestritten. Oh, Señor, geben Sie dem Vater die Gesundheit und das Augenlicht zurück, und mein Herz wird niemals aufhören, Ihnen zu danken!“
    „Vertrauen Sie auf Gottes Hilfe. Er wird mich leiten, das Richtige zu treffen!“
    „Er wird mich – – – o mein Gott, was ist das!“
    Diese letzten Worte rief sie im höchsten Schreck aus, denn gleich vor ihnen zerteilten sich die Büsche, und zwischen ihnen kam ein in eine schwarze Kapuze gehüllter Kopf zum Vorschein, dessen dunkle Blicke wild aus den runden Augenöffnungen der Verhüllung hervorglühten.
    „Drauf! Tötet ihn!“
    Diese Worte erklangen, und in dem nächsten Augenblick warfen sich mehrere Gestalten, welche aus den Büschen brachen und ebenso verhüllt waren wie der andere, mit gezückten Messern auf Sternau.
    Dieser befand sich glücklicherweise nicht zum erstenmal in einer solchen Lage. Während seiner Wanderungen durch fremde Erdteile hatte er mit den wilden Indianern Nordamerikas, den Beduinen der Wüste, den Malayen des ostindischen Archipels und den Papuas Neuhollands gekämpft. Er hatte sich dabei jene Geistesgegenwart angeeignet, welche kein Erschrecken kennt, keinen Augenblick zaudert und in jeder Lage sofort das Richtige ergreift.
    „Holla, das gilt mir!“ rief er.
    Er ließ den Arm seiner Begleiterin fahren und sprang mit Blitzesschnelle einige Schritte seitwärts. Ebenso rasch hatte er die Büchse hervorgerissen und angelegt; zwei Schüsse krachten, und zwei der Vermummten stürzten zu Boden. Im Nu hatte er die Büchse umgedreht, und ihr Kolben sauste auf den Kopf des dritten der Angreifer nieder, so daß dieser lautlos zusammenbrach. In demselben Augenblick erhielt er von dem vierten einen Stich in den Oberarm, aber mit einer raschen Wendung packte er den Mann bei der Gurgel, ließ die Büchse fallen, da diese zu einem Hieb jetzt zu lang war, und schlug dem Gegner die geballte Faust mit solcher Kraft an die Schläfe, daß er besinnungslos niedersank. Als er sich nach dem nächsten Angreifer umsah, war er entflohen.
    Nun konnte er sich zu Rosa wenden. Der Schreck hatte ihr die Bewegung geraubt. Sie lehnte an einem Baum, dessen Stamm sie umschlungen hielt. Ihr Antlitz hatte die Blässe des Todes, und ihre Augen waren geschlossen, als getrauten sie sich nicht, den Kampf des Geliebten gegen eine solche Überzahl anzusehen.
    Dieser Kampf hatte kaum mehr als eine Minute in Anspruch genommen. Einen solchen Gegner hatten sich die Briganten gar nicht vermutet; er wog ein volles Dutzend solcher Leute auf, wie sie es waren.
    „Contezza“, sagte Sternau, indem er seine Hand auf den Arm Rosas legte, „ist Ihnen unwohl?“
    Der Klang seiner Stimme brachte sie wieder zu sich. Sie schlug die Augen auf, und als sie ihn vor sich stehen sah, kehrte die Röte des Lebens in ihre Wangen zurück.
    „Carlos!“ rief sie, beinahe jauchzend.
    Der Übergang vom tiefsten Schreck zu einer solchen Freude war zu schnell und gewaltig. Sie dachte an keine Rücksicht, an keine Scheu, sie dachte nur daran, daß er getötet werden sollte und doch noch lebend war. Sie warf sich an seine Brust, schlang die Arme um ihn

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