Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Gesicht der frommen Dame wurde leichenblaß. Sie konnte sich vor Schreck kaum halten und sagte daher, jedoch mit zitternder Stimme:
    „Verzeiht, Señor, diese Nachricht erschreckt mich so, daß mir ganz schwach und übel wird! Ein Mordanfall! Möge Gott die Tat an das Tageslicht ziehen und die Anstifter derselben bestrafen! Ich fühle mich so angegriffen, daß ich meinen Spaziergang, welchen ich beabsichtigte, gar nicht unternehmen kann.“
    „Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten, Señora, um Sie nach Ihren Gemächern zu geleiten?“ fragte er.
    Sie nickte und stützte sich auf ihn, was sie unter anderen Umständen sicherlich nicht getan hätte. Aber die Angst, entdeckt zu werden, raubte ihr wirklich alle Kräfte, so daß sie schwer am Arm des Arztes hing.
    Dieser geleitete sie bis an ihre Tür und verabschiedete sich von ihr durch eine tiefe Verneigung. Er war froh, fort von ihr zu können, denn es gab in ihm etwas, was sich gegen diese alte, fromme Dame sträubte. Letztere trat in ihr Zimmer und sank dort sogleich ganz kraftlos in einen Diwan. Bald aber klingelte sie nach ihrem Mädchen und befahl demselben, Señor Gasparino Cortejo sofort zu ihr zu bescheiden.
    Es dauerte nicht lange, so trat er ein, außerordentlich verwundert über die Eile, welche seine Verbündete hatte, ihn bei sich zu sehen.
    „Ihr schickt nach mir, Clarissa. Was gibt es so Eiliges?“ fragte er.
    „Ein Unglück, ein sehr großes Unglück, Señor!“ rief sie.
    „Welches Unglück?“
    „Oh, ich bin so schwach, daß ich es kaum erzählen kann!“ jammerte sie.
    „Pah!“ meinte er ruhig. „Ihr könnt sprechen, und folglich wird es Euch auch möglich sein, zu erzählen, was Euch so außerordentlich übermannt.“
    „Aber es ist zu schrecklich! Es kann um uns geschehen sein, Señor!“
    „Alle Teufel, jammert nicht, sondern redet! Ihr erschreckt mich ganz ohne Nutzen mit Eurer Fassungslosigkeit. Ist ein Unglück geschehen, nun, heraus damit!“
    „Nun, so hört! Dieser Doktor Sternau ist überfallen worden.“
    „Wo?“
    „Im Park.“
    Über die raubvogelartigen Züge des Notars glitt ein befriedigtes Lächeln. Er wähnte, daß sein Anschlag glücklich ausgeführt worden sei, und sagte daher in einem verweisenden Ton:
    „Nun, was ist da weiter? Ich sehe darin kein Unglück! Wer hat zu Euch von diesem Überfall gesprochen?“
    „Das ist es ja eben! Hätte ich es von einer anderen Person erfahren, so hätte ich in aller Ruhe meine Hände gefaltet und Gottes Gerechtigkeit gepriesen; so aber …“
    „Nun, was denn aber? Redet doch, zum Teufel!“
    „Er hat es mir selbst erzählt.“
    „Er? Wer?“
    „Der Doktor.“
    „Der Doktor? Doch wohl der Doktor Francas!“
    „Nein, sondern dieser Doktor Sternau.“
    Der Notar fuhr erschrocken zurück.
    „Doktor Sternau? Nicht möglich!“ meinte er mit unsicherer Stimme.
    „Nicht möglich, sagt Ihr? Oh, es ist nicht nur möglich, sondern sogar wirklich, Señor. Ich war von der Nachricht so erschreckt und betroffen, daß ich es mir gefallen lassen mußte, von diesem verhaßten Menschen nach meinem Zimmer geführt zu werden.“
    „Alle Teufel!“ knirschte der Notar. „So ist er entkommen?“
    „Er war nur leicht am Arm verwundet.“
    „O diese Schufte! Ich werde sie lehren müssen, ein Messer richtig zu führen.“
    „Ihr werdet es sie leider nicht lehren können.“
    „Nicht? Warum?“
    „Drei von ihnen hat er getötet, und der vierte ist gefangen.“
    „Teufel!“ fluchte der Advokat durch die Zähne. „Das ist schlimm! Die Toten können nicht reden; aber dieser Gefangene, der kann gefährlich werden!“
    „Kann er etwas verraten?“
    „Das versteht sich! Diese Burschen haben mich ja gesehen; sie kennen mich, denn ich habe mit ihnen sprechen müssen.“
    „O weh! Señor, Ihr seid unvorsichtig gewesen.“
    „Laßt das Schreien und Klagen! Ich habe keine Lust, in dieser fatalen Lage noch Vorwürfe anzuhören. Es muß ein Ausweg gefunden werden.“
    „Ja, ja! Es gibt einen solchen, aber auch nur einen einzigen!“ rief sie schnell und von neuem belebt.
    „Welchen?“ fragte er.
    „Man muß diesen Gefangenen befreien.“
    „Das geht. Aber man wird da bis zur geeigneten Stunde warten müssen, und es fragt sich, ob der Mann bis dahin schweigen kann. Da die gerichtliche Kommission, welche zur Aufnahme des Sachverhaltes eintreffen muß, erst morgen hier sein und auch erst dann den Gefangenen mitnehmen wird, so bleibt er für die Nacht jedenfalls im Schloß eingesperrt. Da wird

Weitere Kostenlose Bücher