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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Geplauder das rege Leben musternd, welches der Jahrmarktsmorgen vor ihren Augen entfaltete. Da erhob die Engländerin den Finger, und hinauszeigend sagte sie:
    „Sieh, Rosa, wer ist das?“
    „Ah, ein Offizier! Ein Husar!“
    „Kennst du ihn?“
    „Nein. Es ist kein Spanier; der Uniform nach muß es ein Franzose sein.“
    Es war Mariano, welcher auf seinem Weg nach Rodriganda jetzt durch Pons kam. Wer ihn in der kleidsamen Husarentracht und in so stolzer, sicherer Haltung auf seinem feurigen Hengst sitzen sah, hätte nie vermutet, daß dieser junge Mann das Ziehkind einer Räuberbande sei. Ein als Diener verkleideter Brigant folgte ihm in vorgeschriebener Entfernung.
    Er ritt auf die Locanda zu, um sich und dem Pferd hier eine Erholung zu gönnen; aber gerade quer vor seiner Richtung stand ein ziemlich hoher Karren, auf welchem der Besitzer desselben Apfelsinen verkaufte. Anstatt auszubiegen, nahm Mariano seinen Hengst empor und flog so graziös über den Karren hinweg, als sei dieser nur ein wenige Zoll hohes Hindernis gewesen.
    „Herrlich!“ rief Rosa, in die Hände schlagend.
    „Welch ein Reiter!“ meinte auch Amy, während ihre Augen bewundernd auf dem Jüngling ruhten.
    Dieser musterte das Haus, in welchem er einzukehren gedachte, und dabei schweifte sein Blick über das Fenster, an welchem die beiden Mädchen standen. Sie sahen, wie er zusammenzuckte, als sei er auf das freudigste überrascht worden, sie sahen sogar, daß er ganz unwillkürlich den Zügel anzog, als ob er halten wolle, sich aber sofort zusammenraffte. Aber noch einen zweiten, blitzschnellen Blick warf er hinauf, und dann sprang er vom Pferd.
    „Hast du es gesehen?“ fragte Amy, deren Wangen sich gefärbt hatten.
    „Was, mein Herz?“
    „Daß er nach dir sah!“
    „Nach mir? O nein. Dieser Blick galt dir.“
    „Nein, dir.“
    „Nein, dir. Ich habe es ganz genau gesehen.“
    „Das ist unmöglich!“ lächelte die Engländerin, beinahe ein wenig befangen. „Du bist so schön, so stolz, auf dich muß jedes Auge fallen.“
    „Weißt du, meine gute Amy, daß du noch viel schöner bist als ich? Du glaubst es nicht? Nun gut, so werde ich es dir beweisen.“
    „Womit, Rosa? Du machst mich neugierig.“
    „Durch einen Schiedsrichter.“
    „Ach, das ist ja herrlich!“ lachte die Engländerin. „Wer soll dieser Schiedsrichter sein? Doch nicht etwa dieser gute Señor Alimpo, der mich Miß Señora Amy Doña Lady Lindsay nennt?“
    „Nein, dieser nicht, meine Liebe. Unser Alimpo ist ein sehr treuer Diener, den ich deiner Freundlichkeit empfehle, aber für das schwierige Amt eines Schiedsrichters ist er nicht geschaffen; er hat ohne ‚seine Elvira‘ kein Urteil. Aber wir haben jetzt jemand auf Schloß Rodriganda, der dir es sagen wird, daß du schöner bist als ich.“
    „Wer ist das?“
    „Unser Arzt.“
    „Ein Arzt? Ach, was versteht ein Arzt von Schönheit? Er hat seine Tinkturen, Mixturen und Salben. An ihnen übt er sein Urteil.“
    Amy sagte das mit einem so hübsch gelungenen, allerliebsten Rümpfen ihres feinen, zartbeflügelten Näschens, daß Rosa lachen mußte, dann aber schnell entgegnete:
    „Oh, ein Arzt braucht nicht stets an seine Salben zu denken, Doktor Sternau ist –“
    „Sternau?“ wurde sie von der Freundin unterbrochen. „Sternau ist ja ein deutscher Name. Hast du mir nicht einmal erwähnt, daß euer Arzt Cielli heißt?“
    „Allerdings; aber dieser Cielli ist verabschiedet worden. Denke dir, meine liebe Amy, mein Vater wird wieder sehend werden.“
    Die Engländerin blickte schnell empor und sah einen Strahl aus dem Auge der Freundin leuchten, der mehr als Freude, der Begeisterung bedeutete.
    „Wäre es möglich?“ fragte sie. „Oh, welch ein Glück! Erzähle, erzähle mir schnell, Rosa!“
    „Ja, ich werde es dir erzählen, aber nicht hier, sondern während der Fahrt im Wagen. Wir dürfen den Vater nicht warten lassen, er freut sich so sehr, dich begrüßen zu können.“
    Sie gab Alimpo den Befehl anzuspannen, und nur wenige Minuten später verließen sie das Zimmer, um einzusteigen.
    Draußen vor der Einfahrt standen die beiden Pferde der Husaren. Mariano war in die Gaststube getreten und hatte sich Wein geben lassen; aber er trank ihn nicht, er dachte gar nicht an das Trinken, denn er sah nur die beiden wunderbaren blauen Augen vor sich, welche so voll offener Bewunderung auf ihn niedergeleuchtet hatten. Sie hatten ihn so verwirrt, daß er nicht einmal die herrschaftliche Equipage bemerkte,

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