42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
Räubern aufgewachsen; das sieht man doch gleich bei dem ersten Blick. Dieses Äußere, diese Eleganz und Tournure eignet man sich nicht unter Briganten an. Er scheint nicht eine gewöhnliche Bildung zu besitzen, wie aus den Worten hervorging, welche ich ihn sprechen hörte. Nein, er ist kein Brigant!“
„Bei klarerem Nachdenken scheint es mir allerdings ebenso. Wäre er das Kind, welches wir dem Capitano überließen, so würde er heute seine Kameraden nicht getötet haben.“
„Das ist der Umstand, welcher mich beruhigt. Aber dennoch war es eine Schwachheit von uns, darauf einzugehen, daß der Knabe nicht getötet werden sollte. Wer tot ist, der ist stumm und kann nicht mehr schaden.“
„Eine noch größere Schwäche war es von Euch, Señor, dem Capitano jenen Zettel zu unterschreiben. Man hält es für unglaublich, daß ein Jurist eine solche Dummheit begehen kann.“
„Ich befand mich ja in seiner Hand, meine teure Clarissa!“
„Das will mir nicht einleuchten! Ein Räuber tritt nicht vor den Richter, um jemand anzuklagen.“
„Nein; aber ein Räuber geht zum Grafen und bringt ihm seinen richtigen Sohn zurück. Das Dokument wird mir keinen Schaden bringen. Der Hauptmann bezweckt mit demselben jedenfalls nur eine Gelderpressung.“
„Wie könnte er dem Grafen sein Kind zurückbringen, da er ja gar nicht weiß, wessen Kind es ist.“
„Er weiß es nicht; das heißt, ich habe es ihm verschwiegen. Aber ein Bandit ist scharfsinnig. Er kann nachgeforscht haben. Und der Umstand, daß er sich weigerte, den Knaben zu töten, läßt mich vermuten, daß er von der Abstammung desselben eine Ahnung hat. Übrigens ist die Sache sehr einfach; wenn er sich einbildet, mir gefährlich zu werden, so schieße ich ihn nieder.“
„Ja, mein Teurer“, sagte die Schwester mit einem frommen Augenaufschlag, „es ist die Pflicht der Kinder Gottes, die Welt von dem Ungeziefer zu befreien, welches im Staub kriecht. Was denkt Ihr nun von dieser englischen Lady? Ist sie nicht eine Schönheit?“
„Eine Schönheit ersten Ranges!“
„Und das sagt Ihr in einem so enthusiastischen Ton! Ich hoffe nicht, daß die Miß mir gefährlich wird!“
„Das hast du nicht zu befürchten. Du weißt, daß du die einzige bist, welche mich von der schwächsten Seite des Mannes kennengelernt hat.“
„Und ich bin die, welche mit deiner Schwachheit Nachsicht hatte. Wollen wir jetzt nicht auch ein wenig schwach sein, mein Lieber? Gott hat uns die Liebe zur Verschönerung dieser sündhaften Erde gegeben, und es ist Ungehorsam gegen seinen väterlichen Willen, wenn man ihm widerstrebt.“
Die beiden frommen Seelen trösteten sich in einer langen Umarmung über die Sündhaftigkeit der Erde. Hätten sie gewußt, daß Mariano ihren Schlichen so scharf auf der Fährte war, so wäre ihnen wohl die Lust vergangen, dem ‚väterlichen Willen Gottes‘ in dieser Weise gehorsam zu sein.
Die Anwesenheit der beiden Gäste brachte in das einsame Leben auf Rodriganda etwas mehr Bewegung und Abwechslung.
Was den Grafen Emanuel betraf, so freute er sich, wenn die jungen Leute auf eine halbe Stunde sein Krankenzimmer teilten, um ihn zu erheitern. Er fühlte sich auf eine ganz unerklärliche Weise zu dem Lieutenant hingezogen; auch das stille, sinnige Wesen der Engländerin war ihm sympathisch, und der Umgang mit solchen Personen konnte gar nicht anders als von vorteilhafter Wirkung auf seinen angegriffenen Zustand sein.
Da die drei Ärzte Rodriganda verlassen hatten, so befand er sich unter der alleinigen Behandlung Sternaus, und die Kunst desselben hatte solche Erfolge, daß der Arzt nach einigen Tagen erklärte, daß der Stein entfernt sei. Nachdem der angegriffene Körper sich gekräftigt habe, könne man daran denken, sich auch mit den erblindeten Augen zu beschäftigen.
Das war eine Botschaft, welche alle Bewohner des Schlosses in Freude versetzte – die beiden Frommen und Alfonzo ausgenommen, welche äußerlich Freude zeigten, innerlich aber zürnten und miteinander Pläne schmiedeten, die Heilung des Patienten zu verhindern.
Es war eigentümlich, daß die regelmäßig im Park unternommenen Spaziergänge stets zu vieren begonnen wurden und doch zu zweien endeten. Während der Graf auf der Veranda die balsamische Luft genoß, lustwandelten die anderen zwischen Blumen. Da fand sich dann stets der Arzt zu Rosa und der Lieutenant zu Amy, ein Umstand, dessen sogar der Graf mit einem liebenswürdigen Scherz gedachte. Mariano fühlte, daß die
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