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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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meine Pflicht, indem ich Sie nach Rodriganda geleitete, darf aber nicht wagen, Ihre Güte zu mißbrauchen.“
    „Es ist kein Mißbrauch“, fiel der Graf schnell ein. „Sie werden uns nur zu erhöhter Dankbarkeit verpflichten, wenn Sie unsere Einladung annehmen. Ich erwarte ganz bestimmt, daß Sie sich bei uns von Ihrer Reise ausruhen. Rosa wird Ihnen sofort Ihre Zimmer anweisen lassen.“
    Es war nicht bloß die Höflichkeit, welche den Grafen diese Worte sprechen ließ. Er war blind und konnte den Offizier nicht sehen, aber er hörte die Stimme desselben, und in dieser Stimme lag ein unerklärliches Etwas, das den Blinden mit süßer Gewalt fesselte.
    Der Notar stand dabei und verglich die Züge der beiden Männer. Er mußte sich innerlich sagen, daß die Ähnlichkeit eine ganz ungewöhnliche sei, und so beschloß er im stillen, auf der Hut zu sein.
    Als sich nach einiger Zeit die Herrschaften trennten, wurde der Lieutenant von einem Diener nach den für ihn bestimmten Gemächern geleitet. Er erhielt drei Räume, ein Vorzimmer, ein Wohn- und ein Schlafzimmer. Er legte in dem Wohnzimmer seinen Degen ab und trat in den Schlafraum, um sich der Waschtoilette zu bedienen. Dort befand sich die Kastellanin, welche nachgesehen hatte, ob sich alles in Ordnung befinde, und nun von ihm überrumpelt wurde.
    Bei dem Schall seiner Schritte drehte sie sich nach der Tür. Sie wußte, daß der Gast ein französischer Offizier sei und wollte ihn als solchen mit einem recht höflichen Knicks begrüßen. Da fiel ihr Auge auf sein Gesicht und – sie vergaß den Knicks. Mit großen, weitgeöffneten Augen starrte sie ihn an und rief:
    „Herr, mein Gott, stehe mir bei! Graf Emanuel!“
    Dieser Ausruf machte einen solchen Eindruck auf Mariano, daß er einen Schritt zurücktrat. Die Frau, welche hier vor ihm stand, kannte er. In ihrem Schoß hatte er gelegen und oft in ihr gutes, fettglänzendes Gesicht geblickt.
    „Elvira! Nicht wahr, Ihr seid die Kastellanin Elvira?“
    „Ja“, antwortete sie, tief aufatmend. „Ihr kennt mich. Señor?“
    „Ja.“
    „Woher?“
    „Ich hörte Euren Mann von Euch sprechen. Aber sagt, warum nanntet Ihr mich soeben Graf Emanuel?“
    „Señor, das ist wunderbar! Ihr seht gerade und leibhaftig so aus wie der alte Graf Emanuel, als er zwanzig Jahre zählte.“
    „Wirklich? Das ist ein Naturspiel, welches zuweilen vorkommt.“
    „Aber so genau, wie aus dem Auge geschnitten! Wenn das mein Alimpo sähe!“
    „Er hat mich ja bereits gesehen!“
    „Ach ja, Ihr sagtet ja, daß er von mir gesprochen habe.“
    „Hat Contezza Rosa seinen Gruß ausgerichtet?“
    „Seinen Gruß? Nein. Hat er mich grüßen lassen?“
    „Ja.“
    Da zog sich ihr Gesicht ganz entzückt noch mehr in die Breite, und sie sagte mit strahlenden Augen:
    „Ja, so ist er! Er läßt mich grüßen, o wie schön von ihm! Aber was läßt er mir denn sagen?“
    „Daß er nicht erschossen worden sei.“
    „Mein Gott, ja, ich hörte von dem Diener, daß er mit angefallen worden ist. Wie gut für unsere gnädige Contezza, daß sie sich unter seinem Schutz befunden hat.“
    „Allerdings“, lächelte Mariano, „er läßt Euch sagen, daß er sehr tapfer gesiegt hat.“
    „Das glaube ich, ja, das glaube ich! Mein Alimpo ist tapfer; er ist sogar zuweilen ganz und gar verwegen und tollkühn; ich muß ihn mehr im Zaum halten! Euch aber, Señor, muß ich nach der Bildergalerie führen, wo das Porträt des Grafen hängt. Er ließ es gerade in dem Jahr fertigen, in welchem der kleine Don Alfonzo geboren wurde. Ihr werdet sehen, daß Ihr diesem Bild genau gleicht wie ein Ei dem anderen. Vorher jedoch ruht Euch aus. Ihr habt mit Räubern gekämpft und werdet gar erschrecklich müde sein.“
    Sie wollte sich zurückziehen, er aber hielt sie zurück und sagte:
    „Bleibt, Señora; oder habt Ihr keine Zeit, mir einige Fragen zu beantworten?“
    „Für Euch habe ich immer Zeit, Señor“, antwortete sie. „Euch und Señor Sternau könnte ich keine Bitte abschlagen.“
    „Ihr meint den deutschen Arzt?“
    „Ja.“
    „Was ist das für ein Mann?“
    „Oh, ein Mann, ein Mann – ja, beinahe so brav und tüchtig wie mein Alimpo. Er ist aus Paris gekommen und wird unseren Grafen sehend machen. Die berühmtesten Ärzte haben vor ihm weichen müssen. Gestern wurde er von Räubern angefallen.“
    „Das hörte ich vorhin. Kennt man keinen Grund, weshalb er getötet werden sollte?“
    „Nein.“
    „Hat er vielleicht einen Feind?“
    „Der? Einen

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