42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
nicht, Capitano! Du selbst warst es, der mich raubte!“ rief der junge Mann zornig.
„Ich? Beweise es! Ich schwöre dir, daß ich es nicht war, der dich deinen Eltern nahm!“
„Ja, das kannst du allerdings beschwören, denn ein anderer war es, der mich stahl; aber es geschah in deinem Auftrag.“
„Ich wiederhole: Beweise es!“
„Kennst du nicht einen Mann, der Manuel Sertano hieß? Er stammte aus Mataro.“
„Alle Teufel! Wer hat dir diesen Namen genannt?“
„Ferner: Kennst du das Gasthaus ‚L'Hombre grand’ in Barcelona? In demselben wurde in der Nacht vom 1. zum 2. Oktober 18‥ ein Knabe umgetauscht.“
„Teufel! Wer hat dir dies weisgemacht?“
„Das ist mein Geheimnis!“
„Ich verlange, daß du mir Antwort gibst! Ich habe dich nach Rodriganda gesandt, um diesen Gasparino Cortejo und andere zu überwachen, nicht aber, um Ränke gegen mich zu spinnen, welche allen Grundes entbehren. Ich verlange zu wissen, wer dir diese Lügen gesagt hat!“
„Du wirst es nicht erfahren!“
„Ich werde es erfahren, denn ich habe die Macht, dich zu zwingen!“
„Pah!“
Der Lieutenant sprach nur diese eine Silbe, aber es lag in ihr eine solche Verachtung und Geringschätzigkeit, daß der Hauptmann zornig rief:
„Glaubst du etwa, mir widerstehen zu können?“
„Das glaube ich allerdings.“
„So werde ich dir das Gegenteil beweisen.“
„Versuche es!“
„Ich befehle dir, sofort nach der Höhle zurückzukehren!“
Der junge Mann ließ ein leises, kurzes Lachen hören und antwortete:
„Das werde ich bleiben lassen!“
„Ah, also offenbare Widersetzlichkeit!“ zischte der Capitano.
„Ja, offene!“ lachte Mariano abermals. „Ich werde bleiben. Was soll der Graf von dem Herrn de Lautreville denken, wenn dieser wie ein Spitzbube bei Nacht und Nebel verschwindet? Übrigens gefällt es mir in Rodriganda ganz ausgezeichnet, und“, fügte er mit Nachdruck hinzu, „es ist mir ganz, als ob ich zur gräflichen Familie gehöre.“
„Mensch, soll ich dich zwingen?“
„Womit?“
„Entweder du erklärst augenblicklich, daß du gehorchen wirst, oder ich steche dich nieder!“
„Warte vorher, was ich dir zu sagen habe!“
„Nun?“
„Capitano, ich hege keinen Groll gegen dich“, begann Mariano in ruhigem Ton, „du hast mich zwar dem Boden entrissen, in welchem der Baum meines Lebens Wurzel zu schlagen begonnen, aber mit deiner Erlaubnis habe ich mir durch den Pater Dominikaner alles aneignen können, was nötig ist, die mir gehörige Stelle wieder einzunehmen und auszufüllen, darum will ich nicht rachsüchtig sein, sondern ich sage: Wir sind quitt! Was ich beginnen werde, weiß ich noch nicht, aber das eine weiß ich, daß ich nämlich zu euch nicht zurückkehre. Zwingen kannst du mich nicht. Ich bin dir an Geschicklichkeit und Stärke überlegen, und auch die List wird dir nichts helfen.“
„Wirklich?“ höhnte der Hauptmann. „Wenn ich nun dem Grafen Rodriganda wissen lasse, daß du ein Räuber bist?“
„So wird er mich vor allen Dingen fragen, wo meine Kameraden zu finden sind, und ich –“
„Ah, du würdest sie verraten?“
„Ja.“
„Mensch!“ brauste der Hauptmann auf.
„Bleibe ruhig, Capitano! Solange mir von eurer Seite nichts Böses droht, werde ich schweigen. Du kennst mich und weißt, daß du dich auf mein Wort verlassen kannst. Aber ich habe euch den Schwur der Treue nicht geleistet, und wenn ihr mich mit List oder Gewalt dazu zwingen wollt, so seid ihr meine Feinde, und ich werde mich zu verteidigen wissen. Das ist es, was ich dir zu sagen habe.“
„Dies ist dein fester Entschluß?“ fragte der Hauptmann.
„Mein fester! Pah, Capitano! Meine Augen sind gut, ich sehe trotz der Dunkelheit sehr deutlich, daß du das Messer ziehst; du aber siehst nicht, daß ich bereits während unserer langen Unterhaltung den gespannten Revolver in der Hand gehabt habe. Ehe dein Messer mich erreichen könnte, würdest du eine Leiche sein. Dies laß dir auch für später zur Warnung dienen! Der Knabe ist plötzlich zum Mann geworden, und ich sage dir, daß er auch als Mann handeln wird. Lebe wohl, Capitano!“
Der Lauscher hörte, daß der Sprecher sich schnell entfernte.
„Mariano!“ rief der Hauptmann in befehlendem Ton.
Es folgte keine Antwort.
„Mariano!“ rief er abermals, jetzt aber war der Ton kein befehlender, sondern beinahe ein ängstlicher.
Auch jetzt erfolgte keine Antwort, und man hörte die Schritte des sich Entfernenden verklingen.
„Bei
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