42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
sondern huschte über einen offenen Grasplatz, gelangte dann durch eine Birkenpflanzung, wendete sich nachher durch ein nicht sehr dichtes Buschwerk und sah nun endlich das Häuschen vor sich. Es lehnte dicht an dem Buschwerk, war klein und nur von dünnen Stämmchen errichtet – infolgedessen konnte man ein jedes nicht ganz und gar leise gesprochene Wort hören, wenn zwei Leute in der Hütte miteinander redeten.
Der Advokat kroch ganz an die hintere Seite des Häuschens heran und lauschte. Ah, wirklich, er hörte sprechen. Zunächst vernahm er ganz deutlich die Stimme des Capitano mit den halblauten Worten:
„Und du wohnst also auf dem Schloß?“
„Ja“, antwortete die unverkennbare Stimme des Lieutenants.
„Wie ist dies so günstig und schnell gekommen?“
„Ich hatte das Glück – oder ist es für dich, Capitano, ein Unglück –, die Contezza nebst einer Freundin von ihr von zwei Männern zu befreien, von denen die beiden Damen angefallen wurden.“
„Ah! Wer waren diese? Gibt es außer uns hier noch andere Briganten? Ich würde ihnen schleunigst das Handwerk legen.“
„Dies ist aus zwei Gründen nicht notwendig. Erstens habe ich ihnen bereits das Handwerk gelegt, und zweitens waren sie nicht fremd, sondern sie gehörten zu uns.“
„Alle Teufel! Wer war es?“
„Henricord und Juanito.“
„Unmöglich! Wie könnten diese es wagen, die Contezza zu beleidigen?“
„Das ist deine oder vielleicht auch nur ihre Sache.“
„Was hast du mit ihnen getan?“
„Den einen erschossen und dem anderen den Schädel gespalten. Sie sind beide tot.“
„Mensch, ist das wahr?“
„Ja.“
Es trat eine kleine Pause ein; dann sagte der Hauptmann in einem zornigen Ton:
„So hast du also zwei deiner Kameraden getötet! Weißt du, welche Strafe darauf steht?“
„Der Tod“, antwortete Mariano sehr ruhig. „Ich aber habe ihn nicht zu befürchten.“
„Warum nicht? Ah, meinst du vielleicht, daß ich dich schonen werde, weil ich stets nachsichtig gegen dich gewesen bin?“
„Ich verlange keine Schonung, sondern nur Gerechtigkeit. Hast du den beiden Männern befohlen, die Contezza anzufallen?“
„Nein.“
„Nun, so habe ich sie nicht getötet, sondern einfach bestraft.“
„Hast du das Recht dazu? Nur ich als Hauptmann habe Strafen zu verhängen.“
„Ich kannte sie nicht; sie hatten sich vermummt.“
„Womit?“
„Mit schwarzen Kapuzen.“
„Wie die unsrigen sind?“
„Ja.“
„So mußtest du trotz dieser Verhüllung denken, daß es Kameraden seien.“
Wieder trat eine kurze Pause ein. Der Lieutenant ließ ein ungeduldiges Räuspern vernehmen und sagte dann in einem entschiedenen Ton:
„Sie waren auf keinen Fall meine Kameraden.“
„Ah! Inwiefern?“
„Ich bin kein Mitglied deiner Bande. Du hast mich aufgenommen und erzogen. Ich bin stets bei euch gewesen, aber du hast vergessen, mir den Schwur abzunehmen. Ich habe also euch gegenüber nicht die mindeste Verantwortlichkeit.“
„Gut, so wirst du mir den Schwur baldigst ablegen müssen.“
„Ich zweifle sehr, ob ich es tun werde.“
„Knabe!“ Dieses Wort kam langsam und pfeifend aus dem Mund des Capitano, der sehr erstaunt war, hier eine solche Widersetzlichkeit zu finden. „Ist dies der Dank für die ungeheuren Wohltaten, welche ich dir erwiesen habe?“
„Schweige von der Ungeheuerlichkeit deiner Wohltaten!“ stieß der Lieutenant in bitterem Ton hervor. „Nennst du es ein Glück, wenn ein Kind seinen Eltern mit Gewalt entrissen und unter die Räuber gesteckt wird?“
Der verborgene Lauscher horchte auf.
„Ah, er ist's! Und er weiß es auch, daß er geraubt wurde!“ dachte er.
Auch der Capitano war überrascht. Er schien, wie es deutlich zu hören war, vor Erstaunen einen Schritt zurückzutreten und fragte dann zornig:
„Den Eltern entrissen? Mit Gewalt? Auf wen beziehst du das?“
Mariano sah ein, daß es nicht klug gewesen war, sich so fortreißen zu lassen. Die Vorsicht hätte ihm geboten, gar nicht ahnen zu lassen, daß er jenem Ereignis auf die Spur geraten sei; da er sich aber von seiner Erbitterung einmal hatte hinreißen lassen, so ging er auch weiter und antwortete:
„Auf mich, auf keinen anderen sonst!“
„Hm, so meinst du also, daß du geraubt worden seist?“ fragte der Capitano vorsichtig.
„Geraubt und vertauscht.“
„Ja, das ist möglich. Aber was habe ich dabei zu schaffen? Ich fand dich im Freien und habe bis heute keine Ahnung, wer dich ausgesetzt hat.“
„Lüge
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