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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Sternau zu gleicher Zeit mit der anderen Partei den Grund der Schlucht.
    Hier bot sich ihnen ein entsetzlicher Anblick. Hart am Ufer des Wassers lag die Leiche des Herabgestürzten. Sie war während des Sturzes auf den Felsenkanten und emporragenden Spitzen aufgeschlagen und dadurch so zerrissen worden, daß sie keine menschliche Form mehr besaß. Sie bildete eine wirre, breiartige Masse, deren Anblick schaudern machte. Der Kopf war so zerschmettert, daß man weder die Gesichtszüge noch die Tour des Haares erkennen konnte. Der Leib war aufgerissen, und die Eingeweide hingen heraus; sie hatten sich um den Körper geschlungen, sahen vor Fäulnis bereits schwarz aus und verbreiteten einen Gestank, der kaum zu ertragen war.
    Der gute Alimpo schlug entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen und brach in Tränen aus.
    „Oh, die liebe, gute Erlaucht! Welch ein Tod, welch ein fürchterlicher Tod! Diesen Anblick werde ich niemals, niemals vergessen können!“
    Auch die anderen brachen in Tränen und laute Klagen aus. Der Advokat stand wortlos dabei; Graf Alfonzo näherte sich den Überresten seines Vaters und versuchte, vor denselben niederzuknien, fuhr aber zurück und sagte schaudernd:
    „Unmöglich! Dieser Geruch ist nicht auszuhalten; er ist geradezu höllisch!“
    Sternau warf einen ernsten Blick auf ihn und trat zu dem formlosen Klumpen. Er bückte sich, um ihn in Augenschein zu nehmen und zu untersuchen.
    „Halt!“ sagte da der Advokat mit einer abwehrenden Handbewegung. „Ich verbitte mir jede Berührung des Toten, bevor Señor Cielli aus Manresa herbeigekommen ist!“
    Sternau trat zurück und antwortete im Ton tiefster Verachtung:
    „Ich will nicht untersuchen, ob Ihr das Recht habt, hier einen solchen Befehl auszusprechen; aber Doktor Cielli ist Gerichtsarzt, und so mag er der erste sein, welcher diese Leiche berührt.“
    „Ich habe als Sachwalter des seligen Grafen nicht nur das Recht, sondern sogar die Verpflichtung, darauf zu sehen, daß hier alles nach Form des Gesetzes vorgenommen wird“, antwortete der Notar. „Ich habe erklärt, daß der Graf wahnsinnig ist; ich habe darauf gedrungen, ihn streng bewachen zu lassen; Ihr habt mir widerstanden und ihn entspringen lassen; Ihr seid allein schuld an seinem schrecklichen Tod und dürft nicht erwarten, daß man auch fernerhin ruhig zusieht, daß Ihr Unglück anrichtet an einem Ort, wo Ihr nicht hingehört.“
    Sternau zuckte nun verächtlich die Achsel; einer wörtlichen Entgegnung hielt er den Notar nicht wert.
    Es dauerte eine geraume Weile, bis der Manresaer Arzt kam. Während dieser Zeit hatten die Anwesenden Gelegenheit, über das Verhalten Sternaus sich zu verwundern. Er durchschritt die ganze Sohle des Tales und untersuchte jeden Fußbreit desselben. Er betrachtete jeden Stein, jede Felskante. Er stieg sogar unter Lebensgefahr an den steilen Felsen empor und untersuchte diejenige Stelle des Schluchtrandes, von welcher der Tote mutmaßlich herabgestürzt war.
    Der Advokat beobachtete dieses mit höhnischen Blicken; es war ersichtlich, daß er sich darüber ärgerte, aber er konnte nichts dagegen tun.
    Endlich kam Cielli. Er hatte, um rascher sein zu können, ein Pferd genommen, ließ dasselbe oben und stieg in den Abgrund hinab.
    „Willkommen, Señor!“ rief ihm Cortejo entgegen. „Ich habe mit Schmerzen auf Euch gewartet.“
    „Konnte nicht schneller, Don Gasparino“, lautete die Antwort.
    „Ihr habt bereits gehört, um was es sich handelt?“
    „Ja; Euer Bote erzählte es. Der arme Graf! So ein Ende! Ah, wer ist denn das, der da oben herumklettert, als ob er Hals und Beine brechen wollte?“
    Er deutete nach oben, wo Sternau noch zwischen den Felsen und Steinen suchte.
    „Es ist Euer berühmter Herr Kollege“, antwortete der Advokat. „Er scheint an der Wand dort oben Eiderdunen auszunehmen oder indianische Vogelnester zu suchen.“
    Jetzt bemerkte Sternau, daß Cielli angekommen war, und stieg sofort hernieder. Dies geschah mit einer Schnelligkeit, daß den Zuschauern schwindlig wurde.
    „Der Kerl klettert wie eine Katze“, meinte Cortejo.
    „Schon mehr wie ein Affe, der er ja auch ist“, fügte Cielli bei. „Er will nichts versäumen.“
    „Ich hoffe nicht, daß Ihr ihm eine Bemerkung erlaubt, Señor Doktor!“
    „Fällt mir nicht ein!“ antwortete Cielli. „Ich bin Gerichtsarzt und kenne meine Obliegenheiten. Übrigens hat dieser Mann sich kein Verdienst um mich erworben, so daß ich zu irgendeiner Freundlichkeit gegen ihn

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