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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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fort.
    „Nun, hatte ich nicht recht?“ fragte Cortejo die beiden anderen. „Jetzt trete ich als Sachwalter des Grafen auf, und ich will denjenigen sehen, der mich nicht als solchen respektieren will.“
    Sternau hatte sich gar bald von den anderen Suchenden getrennt. Ihm schien es unmöglich, daß der durch den Aderlaß sehr geschwächte Graf auch nur das Bett und Zimmer, viel weniger aber das Schloß verlassen haben solle. Für viel wahrscheinlicher hielt er eine gewaltsame Entfernung. Darum ging er hinaus und umkreiste das Schloß, um nach Spuren zu suchen. Er fand nicht den geringsten Anhaltspunkt und mußte schließlich unverrichteter Dinge zurückkehren, um Rosa zu überwachen, welche sich in einer außerordentlichen, fieberhaften Aufregung befand.
    Mittlerweile hatte der Advokat die Nachforschung in die Hand genommen. Laufende und reitende Boten durcheilten die ganze Umgegend, um die Bewohner zu Hilfe zu rufen und demjenigen, welcher den Aufenthaltsort des Vermißten nachweisen könne, eine Belohnung von fünfhundert Duros zu versprechen. Doch schien auch diese Maßregel ohne Erfolg zu sein.
    Der Tag verging, und der Abend brach herein; auch die Nacht verging, ohne daß sich eine Spur gefunden hatte, obgleich Hunderte von Menschen sich auf den Beinen befanden, um womöglich die Belohnung zu verdienen. Am Morgen saß man im Speisesaal beim gemeinsamen Frühstück, aber keiner rührte die Speisen an. Das Unglück schien die Feindseligkeit der Parteien ausgeglichen zu haben, denn es hatten sich alle eingefunden, die in letzter Zeit sich schroff begegnet waren. Da trat ein Diener ein und meldete einen Zigeuner, welcher den Herrschaften etwas zeigen wolle. Er wurde natürlich sofort eingelassen, da die Vermutung nahelag, daß er in der Angelegenheit komme, mit welcher sie sich alle so außerordentlich beschäftigten.
    Er trat ein. Es war Garbo. Er trug Sandalen, welche mit Riemen um die nackten Füße und Waden befestigt waren, eine kurze, zerrissene Hose, eine ebensolche Jacke und drehte den hohen, spitzen Hut sehr eifrig zwischen den Fingern, als wolle er mit dieser Beschäftigung gegen die Verlegenheit ankämpfen, die er in einer so vornehmen Gesellschaft empfinden mußte.
    „Wer bist du?“ fragte ihn der Advokat.
    „O nichts als nur ein armer Gitano, Señor“, antwortete er.
    „Was willst du hier bei uns?“
    „Ich wollte Euch etwas zeigen.“
    „Was ist es?“
    „Erlaubt, daß ich es Euch erzähle!“
    „So rede!“
    Der Gitano spielte seine Rolle ganz vortrefflich. Sein Gesicht war so ehrlich und bieder, als ob niemals ein falscher Zug auf demselben Platz gehabt habe. Er räusperte sich und sagte dann:
    „Ich bin ein armer Gitano und verdiene mir mein Brot mit der Heilung aller Krankheiten der Menschen und der Tiere. Daher gehe ich viel in die Berge, um Kräuter zu suchen. Dies tat ich auch heute morgen. Ich kam an eine sehr steile Felsenwand, und da hing an einem Dorn ein Stückchen feiner Leinwand, wie ich noch gar keine gesehen habe. Es war eine Krone darauf, und darunter stand ein R und ein S –“
    „Mein Gott, unser Wappen!“ rief Rosa. „Mann, hast du das Leinwandstück mitgenommen?“
    „Ja. Ich hörte, daß ein reicher Don gesucht wird, und nahm den Fetzen von dem Zweig hinweg. Dann stieg ich in die schauerliche Tiefe hinab, und da – und da fand ich – da fand ich – – –“
    Er schüttelte sich, als ob er noch jetzt ein Grausen fühle, so daß er die Worte nicht aussprechen könne; aber Rosa war aufgesprungen, auf ihn zugetreten und befahl ihm:
    „Sprich weiter, Mann! Was fandest du?“
    „Halt!“ sagte da Sternau, indem er nähertrat. „Ich bitte die Damen, sich zu entfernen, ehe dieser Mann weitererzählt!“
    „Nein, ich bleibe; ich muß hören, was er spricht!“ antwortete die Gräfin.
    Sie stand so entschlossen da, und ihre Stimme klang so entschieden, daß Sternau jeden weiteren Einwand unterließ.
    „Soll ich weitererzählen?“ fragte der Gitano.
    „Ja, ich befehle es sogar!“ antwortete sie.
    „Ganz unten in der Tiefe lag – eine Leiche.“
    „Eine Leiche!“ rief sie, die Hände in Verzweiflung aneinanderschlagend. „O mein Vater, mein lieber, lieber, teurer Vater!“
    Da legte ihr Sternau die Hand auf den Arm und sagte:
    „Doña Rosa, fassen Sie sich! Noch ist nicht jede Hoffnung verloren. Die Leiche kann diejenige eines Fremden sein, oder der scheinbar Tote hat noch Leben in sich.“
    „Nein, lebendig ist er nicht mehr, denn er ist ganz

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