42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
verpflichtet wäre. Wollen wir beginnen?“
„Ja.“
Diese Unterredung war mit halblauter Stimme geführt worden, so daß niemand etwas davon hören konnte, desto deutlicher aber sprachen die Blicke, mit welchen Sternau, der jetzt herbeikam, empfangen wurde.
Der Alkalde erhielt einen Wink und trat mit dem Advokaten und Cielli zur Leiche.
„Ihr habt zunächst zu erklären, ob noch Leben in diesem Körper ist, Señor!“ sagte Gasparino Cortejo zu dem Arzt.
Dieser warf einen Blick auf die zermalmten Überreste und meinte:
„Leben? Unmöglich! Der Zerschmetterte ist vollständig tot!“
„Nehmt dies zu Protokoll, Alkalde!“ gebot Cortejo. „Hierauf gilt es, zu bestimmen, welcher Art der Tod gewesen ist.“
„Einen Sturz in den Abgrund“, antwortete der Arzt.
„Nehmt es zu Protokoll, Alkalde! Die Hauptsache ist nun, den Verunglückten zu rekognoszieren. Er hat das Negligé des Grafen Emanuel de Rodriganda an; er ist barfuß gewesen, wie dieser im Bett gelegen hat; der Graf ist in einem Anfall von Wahnsinn entsprungen – es ist kein Zweifel, dieser Tote ist der Graf. Stimmt Ihr bei, Doktor?“
„Ja.“
Cortejo wandte sich an den Kastellan:
„Señor Alimpo, wißt Ihr, welches Gewand der Graf während der letzten Nacht getragen hat?“
„Ja; ich sah es, als meine Elvira es holte“, lautete die Antwort.
„Ist es dieses?“
Er deutete dabei auf die blutigen Leinwandfetzen, welche in dem Chaos von Fleisch, Knochen und Eingeweiden zu erkennen waren.
Der Kastellan trat näher und bückte sich über den Toten.
„Ja“, sagte er, „es ist das Nachtgewand des Grafen.“
Da deutete Cortejo nach einer bestimmten Stelle und sagte:
„Dieser Gitano hat oben am Felsen einen Fetzen des Gewandes gefunden; wir haben das Stück zwar nicht mitgebracht, aber es hat augenscheinlich hier an diese Stelle gehört. Es trägt das Wappen des Grafen. Er ist es. Die Anwesenden, welche Don Emanuel alle gekannt haben, mögen herbeitreten und sagen, ob sie glauben, daß es der Graf oder ein anderer ist.“
Sie taten es schaudernd, und alle ohne Ausnahme erklärten, daß es Don Emanuel sei. Alimpo machte sogar eine nicht unwichtige Entdeckung:
„Señores“, sagte er, „seht hier die Hand! An dem Finger befindet sich der Ring des gnädigen Herrn. Es ist sein Trauring; er hat niemals einen anderen getragen.“
Es war so, wie er sagte. Die Zigeuner hatten die Klugheit gehabt, dem Grafen den Ring abzuziehen und ihn der Leiche anzustecken.
„So ist kein Zweifel mehr vorhanden, daß es der Graf ist“, sagte Cortejo. „Alkalde, nehmt es zu Protokoll!“
Der Alkalde, welcher in Spanien so ziemlich die Stelle einnimmt, wie in Deutschland der Ortsrichter oder Bürgermeister, ließ sich von Cortejo das Protokoll diktieren, welches nach einigen weiteren Bemerkungen und Hinzufügungen unterschrieben wurde.
„Nun ladet ihn auf die Bahre“, befahl der Notar. „Wir schaffen ihn nach dem Schloß!“
Die Träger nahten sich; da aber trat Sternau herzu, welcher den Vorgang bisher nur von weitem beobachtet hatte.
„Halt!“ sagte er. „Ich protestiere gegen das Fortschaffen der Leiche. Sie gehört nicht auf das Schloß!“
„Ah!“ machte Cortejo. „Glaubt Ihr, daß Ihr hier auch mitzusprechen habt?“
„Sicher!“
„Aus welchem Grund oder in welcher Eigenschaft?“
„Weil ich der Arzt des Grafen bin.“
„Jetzt nicht mehr!“
„Nun gut, so protestiere ich gegen das Fortschaffen der Leiche in meiner Eigenschaft als Mensch; das ist genug. In einem Fall, wie der gegenwärtige ist, haben die Vertreter des Gesetzes die Verpflichtung, einen jeden anzuhören, welcher eine wesentliche Bemerkung zur Sache zu machen hat.“
„Zugegeben, Señor! Aber Eure Bemerkung schien mir keine wesentliche, sondern eine sehr sonderbare oder geradezu lächerliche zu sein. Weshalb gehört diese Leiche nicht auf das Schloß?“
Aller Augen richteten sich auf Sternau. Der Notar hatte in einem stolzen, wegwerfenden Ton gesprochen, und Doktor Cielli gab sich die größte Mühe, ein höhnisches Lächeln hervorzubringen; auch der junge Graf schüttelte höchst maliziös und beleidigend mit dem Kopf; aber die anderen waren alle dem deutschen Arzt gewogen und warteten mit Spannung auf seine Erklärung. Er sagte sehr ruhig:
„Dieser Verunglückte gehört nicht auf das Schloß, weil er nicht Graf Emanuel, sondern ein vollständig anderer ist.“
Während den anderen ein Ausruf der Verwunderung entfuhr, ließen die Gegner Sternaus ein
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