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42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers

Titel: 42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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zerschmettert“, sagte der Gitano.
    „Hast du den Leinwandfetzen mit?“ fragte Graf Alfonzo.
    „Ja.“
    „Wo?“
    „Hier ist er.“
    Er zog aus der Tasche ein dreieckig gerissenes Stück feinster französischer Leinwand hervor und gab es dem jungen Grafen. Dieser warf einen Blick darauf und entschied sogleich:
    „Unser Wappen! Ja, das ist es!“
    „Zeige her!“
    Mit diesen beiden Worten sprang Rosa auf ihn zu, zog die Leinwand aus seiner Hand und betrachtete das Wappen.
    „Tot! Wirklich tot! O mein Gott, mein Gott!“ hauchte sie, indem sie, um nicht zusammenzubrechen, sich auf den Tisch stützen mußte.
    „Können Sie das genau sagen?“ fragte Sternau in tiefster Bewegung.
    „Ja“, klang es matt zwischen ihren erbleichten Lippen hervor. „Es ist ein Stück des Oberhemdes, welches ich selbst ihm zuletzt noch anlegte, als der Aderlaß vorüber war. Ich erkenne es an der Nummer.“ Und sich an den Zigeuner wendend, fuhr sie fort: „Sage schnell, wo er liegt!“
    „Er liegt tief unten in dem Abgrund, den man die Batería nennt.“
    Das spanische Wort Batería bedeutet einen Mauer- oder Felsenbruch, also eine wilde, gefährliche Stelle. Als die Anwesenden dieses Wort hörten, wußten sie, daß von einem noch Lebendigsein gar keine Rede sein könne, denn die Batería war eine mehrere hundert Fuß tiefe Schlucht, die einen fürchterlichen Abgrund bildete, dessen Wände fast lotrecht hinabfielen. Wer in diesen Schlund stürzte, der war sicher vollständig zerschmettert und zermalmt.
    „Ich weiß genug!“ jammerte Rosa. „O mein Gott, ich bin seine Mörderin! Ich habe geschlafen, während er starb! Nie werde ich dies vergessen und überwinden können. Mein Vater! Mein Vater!“
    Sie verließ, den Leinwandfetzen in der Hand, den Saal, und Amy Lindsay folgte ihr, um ihr in dieser schweren Stunde beizustehen.
    „Kann man ohne Lebensgefahr zu der Leiche kommen?“ fragte der Advokat den Zigeuner.
    „Ja, wenn man die Felsen kennt.“
    „Du kennst sie?“
    „Ja.“
    „Willst du uns führen?“
    „Ich werde es tun. Aber, Señor, ich bin ein armer Zigeuner!“
    „Schon gut! Du wirst fünfhundert Duros erhalten, wenn es wirklich die Leiche dessen ist, den wir suchen. Don Alfonzo, Sie werden mitgehen müssen, um Ihren Vater zu rekognoszieren!“
    Der Angeredete nickte schweigend. An Sternau erging keine Aufforderung, sich anzuschließen; er hatte dies auch nicht anders erwartet, obwohl es sich ganz von selbst verstand, daß er nicht zurückbleiben werde. Die Kunde, daß die Leiche des Grafen gefunden worden sei, verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch das Schloß. Ein jeder wollte mitgehen, sie aufzusuchen, und als sich endlich der Sachwalter nebst Alfonzo auf den Weg begab, schlossen sich aus Schloß und Dorf so viele Begleiter an, als ob ein Wallfahrtszug gebildet werden sollte.
    Sternau hatte erst noch bei Rosa angeklopft. Es war ihm, als könne das, was er jetzt erfahren hatte, nicht wahr sein, und er wollte der Geliebten so gern ein Wort des Trostes sagen, wurde aber gebeten, später wiederzukommen, wenn der erste, niederschmetternde Eindruck der Trauerbotschaft überwunden sei. So machte also auch er sich zu dem schweren Gang fertig, aber er schloß sich nicht dem Advokaten und dessen Begleitern an, sondern er zog es vor, den Weg unter der alleinigen Begleitung des braven Kastellans zurückzulegen.
    Die Batería lag ungefähr eine halbe Stunde weit in der Richtung nach Manresa von Rodriganda entfernt. Auf ihrem dunklen Grund floß ein Bach, dessen kaltes Wasser aber nur wenig Vegetation zu befeuchten hatte, da die Sonne niemals bis zum Boden der engen Schlucht dringen konnte. Es kam da selten ein Mensch hinab; die Schlucht war schwer zugänglich, aber Alimpo erklärte dem Arzt, daß er in früherer Zeit öfters unten gewesen sei und einen Zugang kenne, von welchem der Zigeuner wohl nichts wissen werde.
    Der Advokat hatte einen reitenden Boten nach Manresa zu Doktor Cielli geschickt und auch den Alkalden von Rodriganda mitgenommen, so daß also die Besichtigung der Leiche einen obrigkeitlichen Charakter bekam. Auch mit einer Tragbahre hatte man sich versehen, um den Verunglückten gleich aufheben und mitnehmen zu können.
    Alimpo war kein großer Läufer und so kam Sternau mit ihm später an der Batería an, als der Advokat mit seinem Gefolge. Da aber der Zugang, welchen der Kastellan kannte, bequemer war als der beschwerliche Abstieg, auf welchem der Gitano die anderen zur Tiefe führte, so erreichte

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