42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
heiteres Gelächter hören.
„Ah! Wie köstlich!“ rief der Notar. „Diese Leiche soll nicht Don Emanuel sein! Ich glaube, dieser Señor Sternau leidet an derselben Krankheit, an welcher der gnädige Herr leider zugrunde gegangen ist. Nehmt die Leiche auf und fort damit!“
„Halt!“ sagte Sternau. „Diese Leiche bleibt liegen, bis ich meine Gründe zu Protokoll gegeben habe. Dann könnt Ihr tun, was Euch beliebt.“
„Eure Gründe brauchen wir nicht. Vorwärts, ihr Leute!“
„Verzeiht, Señor Cortejo“, sagte der Alkalde. „Ich stehe hier an Stelle des Gesetzes und weiß, daß Señor Sternau gehört werden muß. Eigentlich dürfte die Leiche nicht eher aufgehoben werden, als bis der Corregidor zugegen ist. So war es mit den Räubern, welche Señor Sternau im Park und Señor de Lautreville bei Pons erschlug; sie mußten liegenbleiben. Hier glaubte ich, eine Ausnahme machen zu können, weil nicht ein Verbrechen, sondern nur ein Unglücksfall vorzuliegen schien, und weil diese Leiche mit größter Bestimmtheit als die des Grafen rekognosziert wurde. Das liegt jetzt anders, und nun hat kein anderer Mensch zu befehlen als nur ich. Señor Sternau, sprecht!“
Dieser nickte befriedigt und sagte:
„Ich frage Euch, Alkalde, wie lange Don Emanuel vermißt wird?“
„Seit gestern früh“, antwortete der Beamte.
„Wie lange also kann er höchstens tot sein?“
„Nicht viel über einen Tag.“
„Nun wohl, seht Euch diese Leiche an! Sie ist bereits so von der Verwesung ergriffen, daß sie wenigstens vier Tage lang der Fäulnis verfallen ist. Seht diese Eingeweide! Sie sind bereits schwarzblau und zersprungen. Man braucht gar nicht Arzt zu sein; man braucht nur die Augen zu öffnen, um zu sehen, daß dieser Tote nicht vor erst vierundzwanzig Stunden gestorben sein kann. Dazu kommt, daß es hier unten feucht und kalt ist; kein Sonnenstrahl dringt herab. Eine Leiche in diesem Zustand müßte wenigstens zwei Wochen hier gelegen haben. Ich wende mich an das Denkvermögen der braven Bewohner von Rodriganda; sie werden sich von keiner verbrecherischen Gaukelei täuschen lassen – – –“
„Halt!“ unterbrach hier der Notar den Sprecher. „Ich verlange, daß dieser Mann zum Schweigen gebracht wird!“
Der Alkalde antwortete:
„Señor Cortejo, ich werde Señor Sternau vollständig anhören und dann selbst wissen, was ich zu tun habe!“ Und sich zu Sternau wendend, sagte er: „Fahrt fort. Señor!“
„Ich habe gesagt, daß ich mich an Euer Denkvermögen wende. Schlachtet eine Ziege, Alkalde, und legt sie hierher. In welcher Zeit wird sie wohl von der Fäulnis so angegriffen sein wie diese Leiche?“
„Ihr habt recht; in wenigstens zwei Wochen“, antwortete der Beamte.
„Hört!“ lachte Cielli. „Einen Menschen mit einer Ziege zu vergleichen!“
Sternau wandte sich mit größter Kaltblütigkeit an ihn:
„Ich gebrauchte dieses Beispiel, um mich diesen braven Leuten zu erklären. Bei ihnen hat es hingereicht, wie ich an ihren Mienen sehe, bei Euch aber nicht, der Ihr ein Arzt sein wollt. Das ist traurig genug!“
„Ich hoffe nicht, daß Ihr es wagen wollt, meiner zu spotten!“ brauste Cielli auf.
„Ich bin von der Wichtigkeit dieses Augenblickes so überzeugt, daß ich nur im allerheiligsten Ernst spreche, Señor. Und ich möchte Euch ersuchen, ebenso wie ich unsere Verhandlungen nicht zu leicht zu nehmen! Den ersten Grund meiner Vermutung habe ich angegeben. Jetzt kommt der zweite: Man messe hier den rechten Fuß der Leiche. Er ist noch vollständig erhalten. Ich habe den Fuß des Grafen entblößt gesehen. Dieser gehört einem andern Mann an. Er ist breiter und größer als derjenige des Grafen und hat eine dicke, zerrissene Sohle und eine so hornartige Ferse, wie es bei einem Edelmann, der nie barfuß geht und seine Füße pflegt, gar nicht vorkommen kann. Blickt her, Alkalde, und sagt, ob ich nicht recht habe!“
Die Leute aus Rodriganda traten herzu und gaben dem Deutschen recht. Seine drei Feinde konnten nichts bemerken. Nur indirekt entgegnete der Notar:
„Und das Gewand des Grafen?“
„Man wird es diesem Mann angelegt haben.“
„Und den Ring?“
„Hat man ihm angesteckt.“
„Ah, Ihr vermutet also ein Verbrechen?“
„Allerdings! Seht Euch die Leiche genau an! Sie ist zwar aus einer schrecklichen Höhe herabgestürzt und dabei wiederholt auf dem Felsen aufgeschlagen, trotzdem aber kann sie dadurch nicht so ganz und gar zu Brei zermalmt werden, wie man es hier
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