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43 Gründe, warum es AUS ist

Titel: 43 Gründe, warum es AUS ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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herkriegen?«
    »Ich hab schon eine Idee«, sagte ich und sah achselzuckend zur Decke hoch, wo du dich wohl gerade abtrocknetest. »Irgendwie klappt das, und zwar bald.«
    »Meinst du heute Abend?«, sagte sie. »Hat Ed dir nichts gesagt? Heute Abend hat er nämlich keine Zeit, da haben wir so eine Familiensache.«
    »Davon hat er«, antwortete ich, »nichts gesagt.«
    Hawk Davies verstummte. »Tja«, sagte Joan langsam, »das sieht ihm mal wieder ähnlich, dass er dir nichts davon erzählt hat«, und ich wusste immer noch nicht, was eigentlich los war, nur, dass etwas in der Luft lag. Sie sah mich etwas befangen an, so als hätte ich irgendein falsches Wort benutzt und sie wisse nicht, wie sie es mir sagen solle, oder als wäre ich der große Basketballstar und ihr Bruder oben in seinem Zimmer ein jungfräuliches Mädchen. Etwas Beschützendes strahlte sie aus. Meine Hände fühlten sich feucht an, meine Augen heiß.
    »Soll ich lieber gehen?«, brachte ich gerade noch hervor.
    Joan atmete aus und legte mir eine Hand auf die Schulter. »So war das nicht gemeint, Min. Wir haben nur dieses Dings, heute Abend, diese Familiensache, wie ich schon sagte, und wir sollten uns schon mal langsam fertig machen.« Lauter als üblich räumte sie ein paar Teile in die Spülmaschine, schob mit dem Hausschuh die Tür zu und griff nach einem leuchtend blauen Schwamm. Sie hatte sich doch eben noch gewundert, fiel mir ein, dass wir so früh zurück waren. Und jetzt auf einmal war es fast schon zu spät. »Du bist sicher sowieso müde, oder? Du warst ja gestern fast so lange auf wie er.«
    War es das, fragte ich mich? Dass ich dich zu lange wach gehalten hatte? Aber sie sagte nichts weiter.
    »Ich will mich nur schnell verabschieden«, sagte ich, und sie sagte: »Sicher, sicher.« Ich rannte nach oben, auf dem Weg fiel mir auf, dass die Polster im Wohnzimmer wieder auf dem Sofa lagen. Die Tür zum Zimmer deiner Mom war zu, wie immer. Dann stand ich in deinem Zimmer, in dem ich immer nur minutenlang gewesen war: ein hässlicher Schrank, Basketballtypen an den Wänden, ein Bord mit Büchern, die Leute dir geschenkt hatten, die nicht wussten, dass du sie nie lesen würdest (oder es wussten, aber das Gegenteil hofften). Ein Winkelmesser und anderer blöder Mathekram auf dem ebenfalls hässlichen Schreibtisch, der übersät war mit schmutzigen Tellern und irgendwelchem Mist. Aus dem Radio leise Stimmen, die Rollos noch unten, starker Schweißgeruch im Raum, der vor allem eklig war, aber nicht – was ist denn bloß los mit mir? – nicht nur eklig, nein.
    Wie hingegossen hast du im Bett gelegen, zuerst habe ich geglaubt, das sei ein Scherz, du würdest dich einfach schlafend stellen, das Handtuch, in das du dich gewickelt hattest, war ein Stück hinuntergerutscht, dein Bein war angewinkelt, und ein Arm lag über deinem Gesicht, so als wolltest du ein Lächeln verbergen. Aber dann hast du angefangen zu schnarchen, wie niemand es könnte, der nicht wirklich schläft, und ich blieb einfach in der Tür stehen und sah dir beim Schlafen zu. Ich wartete, nur um dich so friedlich zu sehen, ich wäre so gern bei dir geblieben, um dich langsam aufzuwecken oder auch plötzlich zu erschrecken oder ewig lange neben dir zu schlafen oder ewig lange zu schlafen, während du schon wach bist und mich anschaust, egal, irgendwas mit ewig jedenfalls. Ich wollte dich küssen, dir durchs Haar wuscheln, mit drei Fingerspitzen über deine warme, glatte Hüfte gleiten, dich damit aufwecken oder dich sanft säuselnd dazu bringen, wieder einzuschlafen. Dich nackt sehen, so ganz entspannt, eine Decke über dich breiten – es gibt nicht genug Tinte und Papier, um all das aufzuschreiben, was ich gern mit dir getan hätte. Aber ich konnte nicht lange bleiben, also ging ich wieder hinunter zu Joan, die mit einem freundlichen Lächeln auf mich wartete. »Er schläft«, sagte ich.
    »Du hast ihn müde gemacht mit deinen Abenteuern«, sagte sie, während sie mir den Zuckerstreuer und Bücher reichte. »Bis bald, Min.«
    »Ich konnte ihm jetzt keinen Zettel oder so hinlegen«, sagte ich.
    »Umso besser«, sagte sie mit einem leisen Schnauben. »Er hasst lesen.«
    »Aber sag ihm, er soll mich anrufen.«
    »Mach ich.«
    »Den Zucker kannst du behalten.«
    »Nein, Min, nimm ihn mit. Sonst nehme ich ihn noch zum Backen, und du musst neuen klauen und landest noch in dem großen Haus. Und das ist dann alles meine Schuld.«
    Darüber musste ich schmunzeln – in dem großen Haus.

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