Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

43 Gründe, warum es AUS ist

Titel: 43 Gründe, warum es AUS ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
»Aber du würdest mir helfen auszubrechen, stimmt’s? Du würdest Ed noch mal das Auto leihen, um mich rauszuholen. Oh, halt, meine Jacke ist noch im Auto.«
    Wir gingen zusammen hinaus in den Nieselregen, und sie hat aufgeschlossen und mir die Jacke gereicht. Jetzt stand ich da, weit von zu Hause, mit einem Haufen Zeug auf dem Arm und niemandem, der mir tragen helfen konnte. »Bis dann, Min.«
    »Tschüss«, sagte ich. Es war ein seltsames Gefühl, so bepackt im Regen zu stehen, während Joan schon eilig zur Küchentür zurücklief. »Danke für das Buch«, rief ich ihr nach. Aber was ich eigentlich sagen wollte, aus irgendeinem Grund, war: Entschuldigung.
    Sie schloss die Tür hinter sich. Kurz darauf saß ich allein im Bus, all meine Habseligkeiten lagen auf dem Platz neben mir, so als wären sie mein ganzer Besitz. Das Kochbuch hatte jetzt, wo ich es mir allein ansah, nicht mehr diesen Charme, jetzt sah es vor allem teuer aus. In meiner Hand entdeckte ich, zusammengeknüllt, das Geschirrtuch, auf dem das Öl der Zwiebelringe dauerhafte Kreise hinterlassen hatte. Statt es beim nächsten Besuch Joan zurückzugeben, habe ich es behalten, weil – ich weiß selber nicht. Ich sehe sie noch vor mir, diese Dinger, die sie gemacht hat, während sie auf ihren Bruder wartete, jeder einzelne dieser Ringe knusprig, unverbrannt – machbar eben. Ihr stilvolles Leben, ihre Art, für die Menschen in ihrem Haus zu sorgen. Die Spuren auf dem Geschirrtuch, die ich auf dem ganzen Weg nach Hause anstarrte, wo ich ruhig und ausnahmsweise friedlich mit meiner Mutter bei Tee (Earl Grey) und Toast zusammensaß. Am liebsten hätte ich ein bisschen geweint, als ich das Tuch zusammenfaltete, um es in den Karton zu tun. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob diese Ringe wie ein weit offener, lachender Mund aussahen, wie ein leuchtender Mond, wie eine aufsteigende Seifenblase oder, wie es mir jetzt vorkommt, wie lauter Nullen in einem Rechteck, geschrieben mit unsichtbarer Küchentinte. Ich dachte, es sei das eine, doch es war das andere, es war null null null, als ich da allein im Bus saß, während du schlafend in deinem Zimmer lagst, das ich verlassen musste, und deshalb ist es aus.

     

 
     
    Und mein Regenschirm, den ich an dem Tag verloren habe, wo ist der? Ich weiß, dass ich ihn morgens noch hatte. Wenn du ihn hast, Ed, gib ihn mir zurück. Ohne ihn bin ich an Regentagen verloren, obwohl – jetzt haben wir Dezember, da könnte es eher schneien, und bei Schneesturm ist ein Regenschirm einfach lächerlich, so wie ein Sicherheitsgurt, wenn man nicht im Auto sitzt, wie ein Helm, wenn man nicht Rad fährt, wie ein Fisch ohne Fahrrad oder wie dieser Spruch heißt, wie die Behauptung, dass Kaffee schwarz sein muss oder dass eine Jungfrau einen Freund braucht. So vieles, was ich nie zurückbekommen werde.

     

 
     
    Inzwischen fragst du dich bestimmt, wie lange man eigentlich brauchen kann bis zu eurem Haus. Steuert Al den Lieferwagen vom Geschäft seines Vaters etwa bis nach Bolivien und zurück? So viele Seiten auf einer ganz normalen Fahrt, selbst bei starkem Verkehr? Die Antwort, Ed, lautet: Leopardi . Ich hab dich nie dahin mitgenommen, in mein allerliebstes Lieblingskaffee, das allerbeste, ein halb zerfallener italienischer Palast mit leuchtend roten Wänden, von denen die Farbe abblättert, mit schief und krumm aufgehängten Fotos dunkelhäutiger Männer mit pomadierter Haartolle, die ihre Geliebten wohlwollend angrinsen, mit einer Espressomaschine wie das schimmernde Schloss eines verrückten Wissenschaftlers, blitzblank und mit diversen Ausläufen, die erst nach unten und dann nach vorn gebogen sind, und einem kuppelförmigen Aufbau aus Metall, auf dem ein streng dreinschauender Messingadler hockt, so als hielte er auf seinem Horst Ausschau nach Beute. Diese ganze Maschine mit all ihren Schaltern und Dampfventilen sowie einem Stapel weißer quadratischer Tücher, mit denen die Angestellten höchst geschickt hantieren, ist nötig, um winzig kleine Tässchen Kaffee zu produzieren, der so dunkel und gehaltvoll ist wie die ersten drei Filme von Malero, in denen die Welt rechtwinklig und blinkend dargestellt wird. O Mann, wie ich diesen Kaffee liebe! Jetzt noch Extramilch und dreimal Zucker, dann kommt der Adler heruntergeflogen und reißt mir mit den Klauen den Hals auf, bevor ich auch nur einen Schluck getrunken habe. Aber weißt du was, Ed? Das ist es noch nicht, was den Zauber dieses Ortes ausmacht, den Charme des Leopardi ,

Weitere Kostenlose Bücher