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44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens

44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens

Titel: 44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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liegen und nahm vor Freude über die Wirkung des Mittels eine abermalige Dosis desselben. Der darauffolgende Schlaf dauerte bis zum Morgen, und als Flora eintrat, dem Vater den Morgenkuß zu bringen, fand sie ihn – angekleidet auf einem Stuhl sitzen. Er hatte alle Vorstellungen des besorgten Dieners siegreich bekämpft.
    „Mein Gott, Papa, was tust du?“ rief sie.
    „Komm' her, mein Kind, und umarme mich!“ antwortete er mit seligem Lächeln. „Ich fühle, daß ich gerettet werde. Dieser Sternau ist wirklich ein von Gott begnadeter Arzt, und ich kann ihn mit allen meinen Reichtümern nicht bezahlen. Ich bin wie neu geboren; meine Muskeln spannen sich, und meine Beine zitterten nicht, als ich das Lager verließ. Sobald die Sonne wärmer scheint, werde ich mich nach der Bank vor dem Haus führen lassen.“
    „Du wagst viel, Papa!“ wandte sie ein.
    „Nein, mein Kind. Die wenigen Schritte werden mich nicht anstrengen; ich fühle es. Dieser Sternau hat mich durch seinen bloßen Anblick gestärkt, und seine Medizin wird seine Weissagung zur Wahrheit machen.“
    „Papa, hast du nicht bemerkt, wie ähnlich er mir sieht?“
    „Ja, ich habe es mit Staunen gesehen. Gerade wie er, war ich in meiner Jugend. Die Natur gefällt sich oft in einer frappanten Wiederholung ihrer Formen. Es war mir, als ob ich mich selbst vor mir stehen sähe, als er sich bei uns befand. Auch meine Stimme, meine Bewegungen waren ganz dieselben. Aber siehe, da kommen die Sonnenstrahlen. Rufe den Diener, damit er mich zur Bank führe.“
    Flora versuchte es, den Vater von der Ausführung dieser Absicht zurückzuhalten, aber er behauptete, stark genug zu sein, und so mußte sie sich in seinen Willen fügen. Einige Minuten später ruhte er in einen weichen, warmen Negligérock gehüllt, draußen auf der Bank und ließ seine Blicke mit der Wonne eines Genesenden über die lichtüberflutete Landschaft und über die glänzende See gleiten, die sich seit vorgestern wieder beruhigt hatte.
    Flora saß bei ihm, hatte seine Hand in der ihrigen und schaute freundlich in sein Angesicht, dessen tödliche Blässe gewichen war, um einer leichten Röte der wiedererwachenden Gesundheit Platz zu machen. Sie war in diesem Augenblick von heißem Dank erfüllt für den Retter ihres Vaters; sie gab sich ganz dem Eindruck hin, den Sternau auf sie gemacht hatte, und ohne daß sie es wollte, entfuhren ihr infolge ihres Gedankenganges die halblauten Worte:
    „O, ich liebe ihn sehr!“
    Der Herzog wandte schnell den Kopf zu ihr und sagte lächelnd:
    „Ah, du denkst an den Geliebten!“
    „Nein, Papa“, antwortete sie errötend. „Ich dachte an einen ganz andern.“
    „Darf ich wissen, an wen?“
    „Ja, an Sternau.“
    Er nickte mit dem Kopf.
    „Wie sonderbar! Auch ich dachte an ihn. Er kam zu uns wie ein Engel, der Glück und Freude bringt; auch ich möchte rufen: Ich liebe ihn! Er ist vor meinen Augen, und ich kann den Blick nicht von ihm wenden. Alle sehen auf ihn und sind ruhig, denn sie wissen, daß sie ihm vertrauen können.“
    Sie versanken wieder in jenes Schweigen, das dem Glück eigen ist, bis der Herzog einmal nach dem Weg sah, der von der Stadt herabführte. Er erhob schnell den Kopf, blickte schärfer hin und erbleichte.
    „Was ist dir, Vater?“ fragte Flora.
    Sie hatte gefühlt, daß seine Finger wie unter einem tiefen Schreck in ihrer Hand zuckten.
    „Schau' da hinauf!“ antwortete er.
    Ihr Auge folgte der angegebenen Richtung.
    „Eine Zigeunerin!“
    „Warum erschrickst du da so sehr?“
    „O, Madonna! Das ist Zarba, das fürchterliche Weib!“
    Nun erschrak auch Flora. Sie faßte die Alte scharf in das Auge und fragte: „Irrst du dich nicht vielleicht?“
    „Nein, sie ist es, sie ist es sicher und gewiß! Dieser Teufel ist mir nachgefolgt, um mich zu quälen. Sie muß allwissend sein, sonst könnte sie nicht ahnen, daß ich hier bin.“
    „Fasse dich, mein Vater! Du hast mich an deiner Seite. Der Herzog von Olsunna darf nicht vor einer Vagabundin zittern. Sei ruhig; ich werde an deiner Stelle mit ihr sprechen.“
    Es war wirklich Zarba. Dieses Weib war nicht allwissend. Es hatte nicht die mindeste Ahnung, daß sich der Herzog in Avranches befand. Es war aus einer ganz anderen Ursache gekommen. Es wollte Gabrillon, den Leuchtturmwärter, besuchen, der der Hüter eines seiner Geheimnisse war.
    Zarba kam langsam des Weges daher, der an der Fischerhütte vorüberführte. Da fiel ihr Blick auf die beiden vor der Tür Sitzenden, und

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