44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
auf fünf Minuten zu einer eingehenden Untersuchung anzuvertrauen.“
„Papa, tue es, ich bitte dich inständigst“, sagte Flora, indem sie sich erhob, um zu gehen und den Patienten mit dem Arzt allein zu lassen.
„Ihre Worte sind sehr kühn“, versetzte der Herzog, „aber wenn man Ihnen in das Auge schaut, kann man nicht anders, als Ihnen vertrauen. Wollen Sie mich untersuchen?“
„Gewiß; ich bat Sie ja bereits darum!“
„So stelle ich mich Ihnen zur Verfügung.“
Der Herzog entfernte alle hinderlichen Hüllen, und Sternau begann sein Werk. Es nahm bedeutend mehr Zeit in Anspruch, als die erwähnten fünf Minuten. Man sah, daß der Arzt mit einer ganz besonderen Gewissenhaftigkeit verfuhr. Die Diagnose schien außerordentlich schwierig zu sein, und der Patient hatte sehr viele Fragen zu beantworten. Endlich aber war Sternau zu einem bestimmten Resultat gelangt und sagte:
„Erlauben Sie mir, mein Herr, der Dame zu klingeln?“
„Ah, Herr Doktor, Ihre Frage ist für mich eine sehr tröstliche“, antwortete der Herzog, indem ein glückliches Leuchten über sein blasses Gesicht flog. „Sie würden meine Tochter nicht als Zeugin ihres Ausspruches dulden, wenn dieser nicht so ganz unverhofft ein beruhigender wäre. Rate ich richtig?“
„Sie raten recht“, nickte Sternau, „doch ehe ich klingle, muß ich vorher eine höchst diskrete Frage aussprechen, die Sie mir erstens verzeihen und dann aufrichtig beantworten werden. Sie haben in Ihrer Jugend einmal an einer Hautkrankheit gelitten?“
Der Herzog errötete trotz seiner Blutarmut.
„Welcher Hautkrankheit meinen Sie, Herr Sternau?“ fragte er.
„Ich meine, beim richtigen Namen genannt, die Scabies.“
„Herr! Wie können Sie glauben –!“
Der Herzog sprach diese Worte mit einer krankhaften Entrüstung, hielt aber plötzlich inne, als er das scharfe, durchdringende Auge des Arztes auf sich gerichtet sah. Er versuchte, sein neues Schamgefühl zu bekämpfen, schwieg eine Weile und sagte dann mit gesenkter Stimme:
„Sie haben recht, im Angesicht des Todes wäre ein Leugnen geradezu ein Selbstmord zu nennen. Und Sie glauben, mich retten zu können?“ fragte Olsunna in fieberhafter Erregung.
„Ja. Teilen Sie diesen Ausspruch getrost Ihrer Tochter mit, ich vertrete ihn.“
Sternau zog an der Glocke, und bald trat Flora ein. Das Gesicht ihres Vater glänzte wie Sonnenschein. Er streckte die Arme nach ihr aus und rief:
„Komm' her, mein Kind! Dieser Arzt gibt mir die Hoffnung des Lebens. Ich soll nicht sterben.“
Flora eilte auf ihn zu, um ihn zu umarmen, blieb aber auf halbem Weg vor Sternau stehen und fragte:
„Ist das wahr, mein Herr? Wären Sie imstande, das Leben meines Vaters festzuhalten?“
„Ich hoffe es, ja, ich bin davon überzeugt“, antwortete er bescheiden und ohne alle Überhebung.
Da stieß sie einen lauten Jubelruf aus, faßte seine Hand und küßte dieselbe schnell, ohne daß er es verhindern konnte.
„Siehst du, Papa, daß es ein Fingerzeig Gottes war!“ rief sie. „O, Herr Sternau, wie glücklich machen Sie uns durch den Trost, den Sie uns geben.“
Sie standen einander gegenüber, und als sie ihm so selig in das Angesicht schaute, erinnerte sie sich an die Worte ihres Geliebten, der ja gesagt hatte, daß Sternau ihr ganz außerordentlich ähnlich sehe. Sie fand dies bestätigt, es war ein eigentümliches Gefühl, das sich ihrer bemächtigte, sie hätte diesen hohen, schönen Mann augenblicklich umarmen und küssen können, ohne zu glauben, daß sie damit einen Fehler begehe. Und er stand vor diesem schönen Mädchen, und es war ihm dabei, als hätte er sie lange, lange Zeit schon gekannt, als wäre er vertraut mit ihr gewesen, wie ein Bruder mit der Schwester, als könne er ihr sein ganzes Herz offenbaren, ganz und rückhaltlos, wie es eben nur einer Schwester gegenüber geschieht.
„Ich danke Ihnen für die Zuversicht, mit der Sie meine Worte hinnehmen“, sagte er. „Ich wiederhole, daß die Heilung nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich ist, wenn Sie mich unterstützen wollen.“
„O, gern!“ antwortete sie. „Fordern Sie alles, was Sie wollen.“
Sternau blickte sich im Zimmer um und fragte dann mit halbem Lächeln:
„Würde Ihnen ein Ortswechsel möglich sein?“
„Warum nicht?“ fragte der Kranke.
„Verzeihung! Ich kenne Ihre Verhältnisse nicht, und ein Ortswechsel pflegt mit mehr oder weniger Kosten verknüpft zu sein.“
„Ah, Sie kennen unsere Verhältnisse, vielleicht
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