45 - Waldröschen 04 - Verschollen
offen.“
„Vielleicht ebenso unklug. Ist er unschuldig, so beleidigen wir ihn tödlich, ist er aber schuldig, so erreichen wir nichts.“
„Du magst recht haben. Was aber tun?“
„Ohne sein Wissen in das Gartenhaus gehen und die Sachen betrachten.“
„Teufel! Also wirklich einbrechen?“ rief Platen.
„Allerdings. Einbrechen, aber nicht stehlen. Die Gegenstände bleiben auf jeden Fall liegen.“
„Hm! Das klingt wie ein Abenteuer, und solche Dinge liebe ich. Wir wollen sehen, was sich tun läßt. Dir gehört dein Eigentum, und im anderen Fall muß mir daran liegen, den Onkel von einem schlimmen Verdacht gereinigt zu sehen. Du wirst mit bei ihm absteigen; ich stelle dich ihm vor.“
„Das geht nicht.“
„Warum nicht?“
„Hat er die Sendung wirklich erhalten, so kennt er auch den Adressaten, an den sie gerichtet war. Mein Name ist ihm bekannt; er hat sich nach mir erkundigt; und wenn ich nun zu ihm komme, so ahnt er vielleicht meine Absicht.“
„So stelle ich dich unter einem anderen Namen vor.“
„Auch das geht nicht. Es ist möglich, daß er mich gesehen hat, mich also persönlich kennt, in diesem Fall bin ich sofort verraten. Oder kennt er mich nicht, so ist es doch unausbleiblich, daß er später meinen wahren Namen erfährt, und im Fall er unschuldig ist, müßte dies mir verteufelt unangenehm sein.“
„Auch hierin gebe ich dir recht. Du entwickelst hier einen Scharfsinn und eine Umsicht, welche einem erfahrenen Polizisten Ehre machen würde. Nur hole der Teufel den Umstand, daß dieser Scharfsinn gerade gegen einen Onkel von mir gerichtet sein muß! Aber was sollen wir tun, lieber Helmers?“
„Du stellst mich gar nicht vor, sondern rekognoszierst einfach das Terrain. Rheinswalden liegt nahe bei Mainz, so wird es dir leicht sein, mich zu benachrichtigen, wann es paßt, unbemerkt in das Gartenhaus einzudringen.“
„So soll ich verschweigen, daß ich dich kenne?“
„Das versteht sich. Er darf nicht einmal wissen, daß du nach Rheinswalden kommst.“
„Gut, ich werde dir dienen, so weit es mir möglich ist. Aber was wirst du tun, falls der Onkel wirklich –“
Er stockte. Es fiel dem braven Offizier schwer, das Wort auszusprechen. Kurt antwortete:
„Trage keine Sorge, lieber Platen. Ich werde mich nach den Umständen richten müssen; aber du kannst auf alle Fälle versichert sein, daß ich die äußerste Rücksicht auf dich nehmen werde.“
„Ich ersuche dich herzlich darum, obgleich es schwer ist, ein Vermögen zu missen, welches einem den Eintritt in das Leben so sehr erleichtern kann.“
„Ich habe es nicht gemißt; ich hatte reiche und hohe Gönner genug, die mehr für mich taten, als ich durch ein Vermögen erreichen konnte. Ich bin auch jetzt noch keineswegs auf Reichtum und Genuß versessen, doch es versteht sich ganz von selbst, daß ich auf das Erbteil, welches mir gehört, nicht verzichte, nur um es in unrechten Händen zu wissen.“
Platen antwortete nicht. Er lehnte sich zurück, um das soeben Gehörte im stillen, in seinem Inneren zu verarbeiten, und es war auch während der ganzen Reise keine Rede mehr von dieser Angelegenheit, die doch nur eine unerquickliche war.
Sie erreichten Mainz. Auf dem Bahnhof trennten sie sich. Platen nahm eine Droschke, um zu dem Bankier zu fahren, und Kurt wurde von Ludewig erwartet, welcher zu Pferd war und ihn mit dem Fuchse des Hauptmanns erwartete. Ludewig war nämlich bereits gestern abend von Berlin abgereist, um Kurts Ankunft zu melden.
Beide schlugen den Weg nach Rheinswalden ein. Dort angekommen, stieg Kurt bei seiner Mutter ab, welche den geliebten Sohn, auf den sie so stolz sein konnte, herzlich umarmte; sodann eilte er zum Oberförster.
Dieser erwartete ihn und empfing ihn auf der Freitreppe.
„Willkommen, Herr Oberleutnant!“ rief er ihm entgegen. Er faßte ihn bei den Händen, umarmte und küßte ihn, hielt ihn dann wieder von sich ab, um ihn besser betrachten zu können, und fuhr dann mit stolzem Schmunzeln fort: „Alle Wetter, ist das in diesen paar Tagen ein Kerl geworden! Oberleutnant, Sieger in einem Doppelduell und Hahn im Korb beim alten Moltke, nämlich im Generalstab! Junge, ich küsse dich noch einmal!“
Und abermals drückte er seinen Schnurrbart auf die frischen Lippen des Oberleutnants.
„So hat Ludewig trotz meines Verbotes geplaudert?“ fragte dieser.
„Natürlich! Der Teufel mag den Mund halten, wenn das Herz überläuft. Ich hätte diesen Ludewig kuranzen wollen, wenn er mir
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