45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Anführer der Karawane zu sein schien. Er trug den langen weißen Beduinenmantel und einen Turban von gleicher Farbe. Seine Waffen waren ganz diejenigen seiner Gefährten, nur daß der Griff seines Messers und der Schaft seiner Flinte mit Silber ausgelegt waren. Während er neben dem Kamel an der Spitze des Zuges ritt, musterten seine stechenden Augen den westlichen Horizont. Dann parierte er sein Maultier und wendete sich an einen seiner Leute zurück:
„Halef, siehst du die Schlucht da vorn?“
Der Angeredete nickte und antwortete in demütigem Ton:
„Ich sehe sie, Herr.“
„Dort werden wir in dieser Nacht lagern“, meinte der Gebieter. „Du warst bereits mehrere Male mit mir in Härrär. Kennst du die Gegend noch?“
„Sehr gut, Emir.“
„Nun wohlan. Von der Schlucht aus hast du nicht weit bis in das Dorf Elaoda, und von da ist es nur eine Stunde bis in die Residenz des Sultans. Binde dein Kamel los und reite hin, um ihm zu melden, daß ich morgen früh bereits bei ihm sein werde.“
Der Mann gehorchte. Während er die Halfter löste, mit denen sein Tier in die Reihe der anderen gefesselt war, fragte er, mit einem Wink nach der Sänfte, aber so leise, daß es nur der Emir hören konnte:
„Soll ich dem Sultan sagen, was wir bringen?“
„Sage ihm, daß wir Schals und Seidenzeug, Messing, gewalztes Kupfer, Messer, Pulver, Zucker und Papier bringen. Dafür will ich Tabak, Elfenbein, Butter und Safflor eintauschen. Aber von der Sklavin sagst du ihm noch nichts.“
„Soll ich den Tribut mitnehmen?“
„Nein. Der Sultan wird nie satt. Wenn ich ihm bereits jetzt den Tribut sende, so verlangt er später abermals Geschenke.“
Der Mann, den er Halef genannt hatte, gab seinem Kamel das Zeichen, auf welches es mit seinen langen Beinen im eiligsten Lauf dahinflog.
Dann wendete sich die Karawane nach der Schlucht, von welcher der Emir gesprochen hatte. Sie lag nahe und wurde sehr bald erreicht. Als die Reiter kaum von ihren Tieren gestiegen waren, nahte der Augenblick, an welchem die Sonne den Horizont berührte. Dies geschieht in jenen Gegenden fast immer genau um sechs Uhr nachmittags und ist die Zeit des von dem Propheten Mohammed vorgeschriebenen Abendgebetes.
Nun sind die Beduinen zwar mehr oder weniger alle Räuber, aber sie besitzen doch eine so große Religiosität, daß sie es für die größte Sünde halten, eins der vorgeschriebenen Gebete zu unterlassen. Darum ließen auch die Glieder der gegenwärtigen Karawane alles stehen und knieten jetzt nieder, um zu beten. Dabei ist eine Waschung vorgeschrieben; da aber das Wasser fehlte, so bedienten sie sich an Stelle desselben des Sandes, den sie geradeso durch die Finger gleiten ließen, als ob es Wasser sei.
Erst als sie hiermit fertig waren, wurden die Kamele von ihrer Last befreit, und dann ließen sich die Männer nieder, um von dem langen, beschwerlichen Ritt auszuruhen.
Einige von ihnen hatten die Sänfte vom Sattel gebunden. Aber die Person, welche sich im Inneren derselben befand, kam nicht zum Vorschein. Sie hatte jedenfalls den Befehl erhalten, die Sänfte gar nicht zu verlassen, sondern auch in derselben zu schlafen.
Der Emir nahm einige von den Datteln, welche sein Abendbrot bildeten, und goß ein wenig Wasser aus einem der Schläuche in einen ledernen Beutel. Damit nahte er sich der Sänfte, schob den Vorhang ein wenig zur Seite und fragte mit unterdrückter Stimme:
„Willst du essen und trinken?“
Es erfolgte keine Antwort, aber eine Hand streckte sich aus und nahm die Früchte und das Wasser in Empfang.
„Allah ist groß, und ich bin vergeßlich!“ murmelte er. „Ich denke doch nie daran, daß sie unsere Sprache nicht versteht.“
Er nahm den Becher, welcher geleert worden war, wieder in Empfang und kehrte an seinen Platz zurück. Auf seinen stummen Wink erhoben sich einige Männer und griffen zu ihren Gewehren. Sie entfernten sich, um das Lager zu bewachen, damit dasselbe von keinem Feind überfallen werde, und ebenso damit die Gefangene nicht entfliehen könne. Bereits nach kurzer Zeit lag alles im tiefsten Schlaf.
Unterdessen hatte Halef längst das erwähnte Dorf erreicht, war durch dasselbe geritten, ohne anzuhalten, und eilte nun auf Härrär zu. Es war, als er dort ankam, kaum eine Stunde vergangen, seit er seinen Herrn verlassen hatte.
Die Tore dieser Stadt werden mit Sonnenuntergang geschlossen, und kein Mensch darf ohne besondere Erlaubnis des Sultans ein- und auspassieren. Halef klopfte an und mußte dies
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