45 - Waldröschen 04 - Verschollen
mehrere Male wiederholen, ehe der Wächter erschien.
„Wer ist draußen?“ fragte er von innen.
„Ein Bote an den Sultan Achmed Ben Abubekr“, antwortete der Gefragte.
„Wie heißt du?“
„Mein Name ist Hadschi Halef Iba Mehemmed Ben Hulam.“
Je länger der Name eines Mohammedaners ist, desto größere Ehre hat er zu beanspruchen. Daher horchte der Wächter auf, als er diesen Namen hörte.
„Zu welchem Stamm gehörst du?“ fragte er.
„Ich bin ein freier Somali.“
Die Bewohner von Härrär sehen, allerdings ganz ohne Grund, mit Verachtung auf die Araber und Somalis herab, und darum meinte der Wächter:
„Einen Somali darf ich nicht einlassen. Ich würde schlimm bestraft werden, wenn ich eines Somali wegen den Sultan störte.“
„Allerdings wirst du bestraft werden“, entgegnete Halef, „aber nur dann, wenn du nicht meldest, daß ich Einlaß begehre. Ich bin ein Bote des Emir Arafat.“
Diese Meldung schien den Wächter bedenklich zu machen. Er wußte, daß der Somali-Emir Arafat der Anführer der Handelskarawanen sei, mit denen der Sultan stets ein gutes Geschäft machte. Darum antwortete er:
„Arafat? Ich will es wagen. Ich werde das Tor einem anderen anvertrauen und selbst gehen, um deine Ankunft zu melden.“
Erst jetzt stieg Halef draußen vom Kamel, um zu warten, bis er eingelassen werde. Der Wächter aber stellte seinen Gehilfen an das Tor und begab sich nach dem Palast des Sultans.
Das Wort Palast steht hier eigentlich am unrechten Ort. Die berühmte Hauptstadt, die man wohl mit noch größerem Recht berüchtigt nennen könnte, ist mit sehr primitiven Mauern umgeben und hat bei einer Länge von einer halben Stunde eine Breite von nur einer Viertelstunde. Die Häuser sind nur steinerne Schuppen zu nennen, und selbst der Palast des Sultans sieht einer Scheune ähnlicher als einem wirklichen Haus. Dicht neben demselben befindet sich ein aus unbehauenen Steinen errichtetes Gewölbe, in welchem man Tag und Nacht Fesseln klirren hört. Es ist das Staatsgefängnis und hat tiefe, unterirdische Keller, in welche nie das Licht des Tages dringt. Wehe dem Gefangenen, welcher dort seinen Aufenthalt nehmen muß! Er erhält niemals vom Sultan Essen und Trinken, und selbst wenn ihm ein Freund oder Verwandter täglich Wasser und den dort gebräuchlichen kalten Brei von Hirsemehl bringt, wird er doch mit der Zeit in seinem eigenen Schmutz verfaulen.
Der Thron des gewaltigen Herrschers, welcher unbeschränkter Herr über Leben und Eigentum seiner Untertanen ist, besteht in einer einfachen Holzbank, wie man sie bei uns in der ärmsten Familie findet. Auf dieser sitzt er nach orientalischer Weise mit untergeschlagenen Beinen, entweder in tiefes Nichtdenken versunken oder Audienz erteilend, bei welcher jeder Nahende zittert, weil die geringste böse Laune des Sultans hinreicht, das Blut des ersten besten fließen zu lassen.
Auch heute abend saß der Herrscher auf seiner Erhöhung. Hinter ihm hingen an der Wand alte, unbrauchbare Luntenflinten, Säbel und dabei auch eine ganze Menge blanker, eiserner Fesseln und Hand- und Fußschellen, die Zeichen seiner unbeschränkten Gewalt.
Vor ihm saß sein Wesir nebst einigen mohammedanischen Schriftgelehrten. Im Hintergrund hockten zahlreiche elende, in Fesseln geschlagene Gestalten am Boden. Es waren Sklaven und Gefangene. Der Sultan liebte es, seinen Thronsaal mit diesen unglücklichen Leuten zu schmücken, zum Zeichen seiner Macht und Herrlichkeit.
Seitwärts vor ihm, zwischen ihm und dem Wesir, stand einer dieser beklagenswerten Männer mit Ketten an den Händen und Füßen. Seine Gestalt war lang und hager, mehr vom Gram als vom Alter weit nach vorn gebeugt. Sein erloschener Blick und seine eingefallenen Wangen zeugten von Hunger und von tiefem Seelenleid. Er trug als einziges Kleidungsstück ein Hemd, und auch dieses war vielfach zerrissen.
Er schien soeben gesprochen zu haben, denn aller Augen ruhten auf ihm, auch diejenigen des Sultans, finster und drohend, wie diejenigen eines folternden Henkers.
„Hund!“ sagte er zu dem Alten. „Du lügst! Wie kann ein christlicher Herrscher größer und mächtiger sein, als ein Anhänger des Propheten. Was sind alle deine Könige gegen mich, den Sultan von Härrär!“
Da blitzten die Augen des Sklaven auf, und er antwortete:
„Ich war kein König; ich war nur ein Untertan, aber einer der Edelsten unseres Landes; dennoch aber war ich tausendmal reicher und glücklicher als du.“
Da streckte der Sultan
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