45 - Waldröschen 04 - Verschollen
war, doch aufmerksam wurde. Er drohte mit dem Finger und sagte:
„Du, ich glaube gar, du bist verliebt, Mensch! Mache keine Dummheiten! Wenn du partout ein elender, unglücklicher Kerl werden willst, so suche dir meinetwegen ein Hauskreuz, das Waldröschen aber ist nichts für dich. Der Ort, auf dem sie wächst, ist für dich zu hoch!“
„Lieber Pate, ich kann steigen.“
„Ja“, lachte der Alte, „so ein Leutnant kann's himmelhoch bringen; ich sehe es an mir – zum Hauptmann und Oberförster, Gott sei es geklagt. Also mache mit diesem Krimskrams, was du denkst, aber bilde dir nur keine Rosinen ein, und laß uns das Waldröschen ungeschoren. Merke dir das!“
Mit dem nächsten Zug saß Kurt wieder im Coupé und dampfte der Residenz entgegen. Ludewig begleitete ihn in einem Wagen zweiter Klasse. Sie kamen am späten Abend in Berlin an, dennoch aber eilte Kurt gleich vom Bahnhof weg nach dem Palais, welches Bismarck damals bewohnte.
Die Fenster desselben waren hell erleuchtet. Der Minister hatte jedenfalls Gäste bei sich. Der Portier wollte den Leutnant nach seinem Begehr fragen, doch Kurt eilte an ihm vorüber und die Treppe empor. Lakaien liefen oben auf und ab, und im Vorzimmer stand der Leibdiener, welcher Kurt entgegenkam.
„Sie wünschen?“ fragte er.
„Exzellenz zu sprechen.“
„Geht nicht. Exzellenz befindet sich beim Souper, ist überhaupt nur für die Gäste da.“
„Exzellenz wird aber doch sofort kommen, wenn Sie meinen Namen nennen!“
Der Diener betrachtete den Leutnant mit ironischen Blicken, darum zog dieser seine Karte hervor und antwortete, als er ein hochmütiges „Ah!“ vernahm: „Hier meine Karte. Melden Sie mich sofort!“
„Ich bedaure, dies nicht tun zu dürfen, denn –“
„Ich befehle Ihnen, mich zu melden! Verstanden, Bedientenseele!“
Der Mann fuhr zurück, als er sich in dieser Weise angedonnert hörte. Er wagte keinen Widerspruch mehr und verschwand im Saal. Bereits nach einigen Augenblicken kehrte er zurück.
„Folgen Sie mir!“ bat er in sehr achtungsvollem Ton.
Er führte ihn in ein Gemach, in welchem Bismarck bereits stand. Dieser trat dem Leutnant entgegen und sagte:
„Für Sie bin ich allerdings zu sprechen, Herr Leutnant. Sie haben dem Staat abermals einen wichtigen Dienst geleistet. Jener Russe wurde infolge Ihrer Depesche festgenommen, und man fand in seinem Hut allerdings Papiere von solcher Wichtigkeit, daß Sie unseres Dankes versichert sein können. Wie aber kamen Sie zur Wissenschaft dieses Geheimnisses?“
„Bevor ich diese Frage beantworte, gestatte ich mir, Eurer Exzellenz diese Dokumente zu überreichen.“
Mit diesen Worten öffnete Kurt das Paket und reichte es dem Kanzler.
„Ich bin engagiert und habe also jetzt keine Muße zum Lesen; aber die Aufschriften werde ich denn doch – ah!“
Er hatte die erste Schrift geöffnet, er blieb nicht nur bei der Aufschrift, sondern las weiter. Er griff zur zweiten.
„Setzen Sie sich“, gebot er Kurt.
Dieser leistete Gehorsam, während Bismarck weiterlas. Seine Augen schienen die Zeilen förmlich zu verschlingen, und die Spitzen seines Schnurrbartes zeigten jenes verräterische Zucken, was bei ihm stets ein Zeichen innerer Spannung war. Endlich war er fertig. Er wendete sich zu Kurt, der sich erhob, und legte sein Auge mit einem so großen, erstaunten Blick auf ihn, daß der Leutnant beinahe verlegen wurde. Dann fragte er langsam und im Ton der höchsten Verwunderung:
„Aber, Herr Leutnant, ich begreife Sie nicht. Sie erscheinen mir wie ein Wunder. Sie, der junge, unbekannte Mann, machen uns Enthüllungen und bringen uns Beweise über Agitationen, für deren Aufdeckung man Königreiche bezahlen könnte. Wie kommen Sie zu diesen Dokumenten?“
„Kapitän Parkert, der uns hier entwich, hat sie dem Bankier Wallner in Mainz in Depositum gegeben, und dieser lieferte sie mir aus, als ich die Überzeugung aussprach, daß der Inhalt für ihn einer Dynamitpatrone gleiche.“
„Aber er kannte den Inhalt?“
Die Augen des großen Mannes waren so groß und scharf auf ihn gerichtet, daß es ihm unmöglich war, zu lügen.
„Exzellenz, er ist tot“, antwortete er.
„Freiwillig gestorben?“ fragte der scharfsinnige Mann.
„Ja.“
„Ah, also ein Kampf und eine Katastrophe. Erzählen Sie kurz.“
„Ich hatte bereits die Ehre, Eurer Exzellenz in Gegenwart Seiner Majestät von meinen Verhältnissen und denjenigen der Familie Rodriganda zu sprechen. Mein letztes Erlebnis steht in
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