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45 - Waldröschen 04 - Verschollen

45 - Waldröschen 04 - Verschollen

Titel: 45 - Waldröschen 04 - Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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die zehn Finger hervor. Sofort trat einer aus der Ecke heraus, erhob den schweren Bambusstock und gab dem Sklaven die zehn Hiebe, welche durch dieses Zeichen anbefohlen worden waren; der Sklave zuckte nicht; er schien diese Behandlung gewöhnt zu sein; die Schläge schmerzten ihn nicht mehr.
    „Willst du widerrufen?“ fragte der Sultan.
    „Nein!“
    Der Herrscher gebot, ihm fünfzehn Streiche zu geben. Dies geschah, und dann sagte er:
    „Ich werde dir beweisen, welche Macht ich besitze! Du bist ein Christenhund. Ich habe dir befohlen, den Propheten zu verehren, du aber hast es nicht getan. Heute gebiete ich es dir zum letzten Mal. Wirst du gehorchen, Wurm?“
    „Niemals!“ antwortete der Alte mit fester Stimme. „Du hast mir meine Freiheit geraubt, du kannst mir auch das Leben nehmen, meinen Glauben aber nimmermehr. Hier willst du mir deine Macht beweisen? Gerade hier hört sie ja auf!“
    Die Hand des Herrschers ballte sich, und er rief im grimmigsten Ton:
    „Ich werde dich in das tiefste Loch meines Kerkers werfen lassen!“
    „Tue es!“ meinte der Sklave unverzagt. „Ich will ja sterben, ich sehne mich nach dem Tod. Dann hört mein Leiden auf, und ich finde endlich Ruhe und Frieden.“
    „Gut! Du willst es! Führt ihn ab, aber in den schlechtesten Keller, den es gibt!“ Auf dieses Gebot des Sultans faßte der Henker den Alten an und führte ihn hinaus. Draußen traten noch mehrere hinzu und schleppten ihn nach dem Gefängnisgebäude.
    Als die Tür geöffnet wurde, quoll ihnen ein unbeschreiblicher Gestank entgegen und das Geklirr von Ketten und das Gewimmer der Gefangenen. Man hatte kein Licht mitgenommen, darum konnte der Sklave nichts sehen. Er wurde nach einer Ecke geführt, wo der Henker mit Hilfe der anderen einen schweren Stein emporhob und dann den Gefangenen einen Stoß gab.
    „Hinab mit dir, du Christenhund!“ lachte er. „In zwei Tagen bist du aufgefressen!“
    Der Alte stürzte in ein enges Loch hinab, das wohl zweimal so tief war, als seine Länge betrug. Er schlug dabei mit dem Gesicht an die Wand und beschädigte sich sehr. Aber er hatte keine Zeit, dies zu beachten, denn kaum hörte er, daß man den Stein über sein Grab legte, so fühlte er eine ganze Schar lebendiger Tiere an sich emporspringen, die sich augenblicklich in seine nackten Beine einbissen.
    „Mein Gott, wirklich bei lebendigem Leib aufzehren!“ rief er erschrocken.
    Es waren Ratten, die wer weiß wie lange Zeit gehungert hatten und nun ein neues Opfer erhielten. Er stampfte sie von sich ab und trat sie mit den Füßen. Er ergriff sie mit den Händen und erwürgte sie, aber hundert und aber hundert Bisse verursachten ihm die fürchterlichsten Schmerzen. Das Loch, in welchem er steckte, war kaum vier Fuß breit und zwölf Fuß tief. Er stemmte sich mit dem Rücken an die eine und mit den Füßen an die andere Mauer der schmalen Seite und versuchte, sich nach Schornsteinfegerart emporzuarbeiten. Es gelang.
    Dabei löste sich durch Druck, welchen er ausübte, ein Stein aus der Mauer und fiel auf den Boden hinab. Ein mehrfacher quiekender Laut überzeugte ihn, daß der Stein einige der Ratten verwundet oder gar erschlagen habe.
    „Ah, Gott sei Dank!“ rief er erfreut. „Das gibt eine Waffe!“
    Er kletterte wieder niederwärts, ergriff den Stein, welcher von bedeutender Größe war, und schlug mit demselben nach allen Seiten auf dem Boden herum. So viele der Ratten sich an ihn hängten, und so viele Bisse er erhielt, er erschlug doch eine nach der anderen, bis auch die letzte sich nicht mehr regte.
    Als er nun umhertastete, fühlte er diese scheußlichen Tiere umherliegen.
    „Welch einen Gestank wird dies bereits morgen geben“, murmelte er. „Sie werden mich zwar nicht fressen, aber mich ersticken.“ Da erfaßte seine Hand einen runden, hohlen Gegenstand. Er stieß einen Schrei des Schreckens aus, denn er hatte einen Totenschädel ergriffen. Es war jedenfalls die Hirnschale des letzten vor ihm dagewesenen Gefangenen, den die Ratten förmlich aufgefressen hatten.
    „Das sollte mein Schicksal sein und wird es vielleicht auch noch werden“, sagte er. „Gott, o Gott, was habe ich getan, daß ich ein solches Ende finden soll! Einst ein Graf Rodriganda, umgeben von Glück, Reichtum und Ehre, und nun ein Fraß des Ungeziefers! Und wer ist schuld daran? Cortejo und Landola, diese beiden Schurken! Herr im Himmel, vergilt es ihnen! Möge dir die Hölle schlimmer werden, als allen Teufeln, dir Cortejo, und auch dir, du

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