45 - Waldröschen 04 - Verschollen
einem schnellen Kuß, und dann flüsterte Röschen, bevor sie eilig verschwand:
„Der Hauptmann Rodenstein ist ein alter Bär! Ich erkläre dir ganz feierlich, daß du schon der Kerl bist, mir etwas zu schenken. Nicht wahr, lieber Kurt?“
FÜNFTES KAPITEL
Ein Sklave
„Im glühend heißen Sonnenbrand
Trag ich der Knechtschaft Ketten.
O Du mein teures Vaterland,
Gibt's niemand, mich zu retten?
Die Sonne sengt mir das Gehirn,
Die Sehnsucht schmilzt das Herz.
Vor Heimweh glühet mir die Stirn,
Die Seele brennt im Schmerz.
Allmächtiger, erbarm dich mein,
Es ist nicht mehr zu tragen.
Von Hoffnung, ach, nur einen Schein,
Dann will ich nicht verzagen!“
An der westlichen Küste des Golfes von Aden, welcher das Rote Meer mit dem Indischen Ozean verbindet, liegt ein Land, welches ein Seitenstück zu dem berühmten Timbuktu oder dem allerdings fabelhaften Eldorado bildet. Die kühnsten Reisenden haben vergeblich versucht, dasselbe zu erforschen, und nur einem einzigen verwegenen Mann, dem britischen Offizier Richard Burton, ist es gelungen, bis dahin vorzudringen und einige Nachrichten über das abgeschlossene Land mitzubringen.
Dieses Land heißt Härrär. Der Beherrscher ist ursprünglich nur ein Scheik, läßt sich aber gern den stolzeren Titel Emir beilegen.
Es hat allerdings Fremde, ja sogar Europäer gegeben, welche dieses Härrär betraten, aber sie konnten keine Kunde von den dortigen Verhältnissen mitbringen, kehrten niemals zurück; sie waren Sklaven.
Zwar war auf Anregung der Engländer, vorzüglich auf Betrieb des edlen Lord Wilberforce, eine internationale Vereinbarung zustande gekommen, daß aller Sklavenhandel verboten sei. Die Kriegsschiffe aller Nationen hatte nicht nur das Recht, sondern sogar die Verpflichtung, die Sklavenschiffe wegzunehmen, die Gefangenen zu befreien und die Bemannung vom Kapitän an bis herab zum Schiffsjungen einfach aufzuhängen; aber diese Maßregeln haben bis zum heutigen Tag noch keinen durchschlagenden Erfolg gehabt.
Es gibt noch jetzt Länder, in denen der Sklavenhandel floriert. Jeder Besucher von Konstantinopel zum Beispiel kann konstatieren, daß es dort noch immer Häuser gibt, in welchen man Menschen von allen Farben kaufen kann. Besonders einträglich ist die Sklavenjagd in den Nilgegenden und denjenigen Gebieten, welche am Roten Meer liegen oder die Ostküste Afrikas bilden. Zu diesen gehört Härrär.
Härrär liegt allerdings nicht an der Küste. Es ist von den Seehafen Zeyla und Berbera aus zu erreichen, indem man durch das Land der Somalinomaden reist. Diese Somali gehören zu den schönsten Vertretern der schwarzen Rasse, sind ein stolzes, kriegerisches Volk und leben mit allen ihren Nachbarn in ewigen Fehden, so daß der Verkehr zwischen Härrär und der Küste großen Gefahren unterworfen ist. Aus diesem Grund ist es auch nur selten einem Sklaven gelungen, aus Härrär zu entfliehen und das rettende Meer zu erreichen.
Diese Einleitung mag vielleicht langweilig erscheinen, besonders der fremden, unbekannten Worte wegen, aber sie ist notwendig, um das Kommende zu verstehen. –
Da, wo die Somaliwüste sich gegen Westen, also gegen das Binnenland zu erheben beginnt, und der bisher starre, unfruchtbare Fels und der gelbe Sand bereits hier und da wieder eine Spur grüner Vegetation zeigt, bewegte sich eine Karawane der untergehenden Sonne zu.
Sie bestand aus schwer bepackten Kamelen und teils von der Sonne gebräunten, teils von Natur aus tief schwarzen Männern, die alle sehr gut bewaffnet waren.
Ihre Waffen waren allerdings nicht diejenigen, wie sie bei uns getragen werden. Sie bestanden aus Luntenflinten mit langen, persischen Rohren, Kriegskeulen aus Teak- oder Ebenholz und Bogen mit denen gefährliche, vergiftete Pfeile versandt werden. Ein jeder trug außerdem ein langes, scharfes Messer in seinem Gürtel.
Die Kamele gingen nicht frei, sie waren immer eins an das andere gebunden, und zwar in der Weise, daß man das Halfter jedes Tieres an den Schwanz des vorhergehenden befestigt hatte. Alle trugen schwer beladene Packsättel, ein einziges ausgenommen, auf dessen hohen Rücken eine Art Sänfte zu sehen war, deren vier Seiten mit dünnen, die Luft durchlassenden Vorhängen verschlossen wurden. Es war zu vermuten, daß sich in dieser Sänfte eine weibliche Person befinde, deren Anblick den Augen Unberufener entzogen werden soll.
Neben diesem Kamel ritt auf einem starken, weißen Maultier ein Mann, welcher der
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