45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Männer, welche langsam daherkamen. Vor dem Häuschen blieben sie zufällig stehen, und ich hörte nun jedes Wort, welches sie sprachen. Wißt Ihr, wer es war?“
„Nun, ich kann es mir denken, Gasparino Cortejo und der Dominikaner.“
„Ja, diese beiden waren es. Und soll ich Euch mitteilen, was sie miteinander sprachen?“
„Natürlich, natürlich! Rede nur schnell!“ antwortete ungeduldig Don Ferdinande.
„Sie schienen schon längere Zeit miteinander im Gespräch begriffen zu sein, obgleich ich nicht begreifen konnte, was meinen Onkel Dominikaner bewogen haben könne, zu so später Stunde eine Unterredung mit Cortejo zu suchen. Vielleicht hatten sie sich ganz zufällig getroffen. Als sie so vor dem Häuschen standen, hörte ich den letzteren höhnisch sagen:
‚Sie maßen sich zu viel an, frommer Pater! Wie können Sie es wagen, dem Grafen Alfonzo de Rodriganda Vorschriften zu machen! Und wenn Sie ihm etwas mitzuteilen haben, so wenden Sie sich in Zukunft an ihn, nicht aber an mich!‘
Darauf antwortete mein Oheim mit seiner sanften und doch festen Stimme: ‚Sie nennen mein Verhalten eine Anmaßung? Ich bin ein Diener der heiligen Kirche und habe als solcher die Pflicht, zu warnen und zu raten. Graf Alfonzo mag froh sein, daß ich einstweilen nur als warnender Priester einschreite, den es schmerzt, zu sehen, welche Ungerechtigkeiten die Untertanen zu dulden haben. Ich könnte anders gegen ihn auftreten!‘
‚Ah! Wie denn?‘
‚Als Ankläger.‘
‚Als Ankläger? Ich glaube, Sie sind nicht recht gescheit, mein sehr ehrwürdiger Herr!‘
‚Ich rühme mich allerdings keiner großen Klugheit, ich verwerfe vielmehr die Klugheit der Kinder dieser Welt, welche nur auf Lug und Trug sinnen. Und wenn Sie mir sagen, daß ich mich an den Grafen, nicht an Sie zu wenden habe, so muß ich Ihnen entgegnen, daß nicht er es ist, sondern daß Sie es sind, welcher die Zügel führt. Und außer diesen Zügeln befinden sich in Ihrer Hand auch die Fäden jener Angelegenheit, deren Kenntnis mich befähigt, ja beinahe verpflichtet, gegen Sie und den Grafen als Kläger aufzutreten.‘
Cortejo schwieg einen Augenblick, als ob er erstaunt oder erschrocken sei, dann sagte er:
‚Sie schwatzen dummes Zeug! In Ihrem Hirn ist es nicht ganz richtig!‘
‚O, Señor, ich könnte Ihnen sofort beweisen, daß mein Hirn ebenso gesund ist, wie das Ihrige!‘
‚Das dürfte Ihnen schwer werden, mein frommer Vater!‘ höhnte Cortejo.
‚Sehr leicht sogar! Sie halten sich allerdings für klug und weise, Sie glauben, Ihre Schliche so klug und vorsichtig unternommen zu haben, aber Gott bringt alles an das Licht. Er sieht und hört alles, und wenn seine Zeit gekommen ist, macht er es offenbar.‘
‚Reden Sie keinen Wahnsinn! Was sprechen Sie von Schlichen? Wenn Sie sich nicht einer größeren Höflichkeit befleißigen, werde ich Ihnen Sitte und Anstand lehren!‘
Diese Worte hatte Cortejo im Zorn gesprochen, aber der Pater antwortete ruhig:
‚Nun, so muß ich Sie an zweierlei erinnern.‘
‚An was? Ich bin sehr begierig, es zu hören.‘
‚Zunächst an einen Gasthof in Barcelona. Dort wurde von Ihnen mit Hilfe eines Räuberhauptmannes und seines Genossen ein Kind verwechselt.‘“
Der alte Graf Ferdinande hatte bis jetzt lautlos zugehört. Jetzt aber rief er rasch:
„Ein Kind verwechselt? In Barcelona? Mein Gott, jetzt wird es hell, jetzt endlich nach so langer Zeit erhalte ich Klarheit! Fahre fort! Schnell! Was antwortete Cortejo?“
Er schwieg zunächst, aber ein leises, hustendes Räuspern zeigte mir an, daß er sehr erschrocken sei und sich in einer großen Verlegenheit befinden müsse. Dann sagte er endlich:
„‚Sie sind verrückt, geradezu verrückt!‘
Aber der Onkel fuhr unbehindert fort.
‚Und sodann erinnere ich Sie an ein Schiff des Kapitän Landola, auf welchem ein Gefangener von Veracruz abgeholt wurde. Wissen Sie, wer dieser Gefangene war?‘
Cortejo war einen Augenblick lang wie gelähmt, dann aber knirschte er:
‚Mensch, du bist kein Priester, sondern ein Teufel. Fahre zur Hölle, wohin du gehörst!‘
In diesem Augenblick blitzte es auf, und ein Schuß krachte. Aber die Kugel traf nicht. Gott beschützte den Priester. Dieser erhob drohend die Hand und rief:
‚Gasparino Cortejo, nicht ich bin es, sondern du wirst es sein, der in die Hölle fährt!‘
Nach diesen Worten verschwand er zwischen den Büschen. Cortejo blieb eine Weile ganz bewegungslos stehen, als ob er betäubt sei, dann
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