45 - Waldröschen 04 - Verschollen
nicht bei euch zu sein.“
„Sie sind in der Nähe und haben genug. Pardero ist tot und auch der Gefängniswärter. Verdoja ist in den Brunnen gefallen und hat das Rückgrat gebrochen; er lebt aber noch.“
„Ach, welch' eine Schickung!“ hörte man Sternau drüben sagen. „Sie scheinen sich wacker gewehrt zu haben. Nun schnell, daß wir hinüber kommen!“ Und dann fragte er noch durch die Tür:
„Ist's finster drüben?“
„Nein. Wir haben sogar zwei Laternen“, antwortete Helmers.
„Das ist gut. Zieht euch so weit wie möglich zurück. Wir sprengen die Tür. Oder könnt ihr nicht?“
„O, sehr weit.“
„So geht jetzt. Dann kommen wir gleich.“
Sie kehrten bis in den nächsten Gang zurück und teilten sich ihr Glück in glühenden Worten mit. Dann lauschten sie dem knirschenden Bohren der Messer.
„Sagte ich es nicht, daß Sternau kommen würde“, meinte Helmers. „Das ist ein Mann, wie es keinen zweiten gibt.“
„Ich wußte es sicher“, bestätigte Mariano in dem Ton der vollsten Überzeugung. „Wäre ich ein Heide, so würde ich sagen, er sei ein Halbgott oder ein Liebling der Götter. Niemand kann ihm genug danken!“
Es verging einige Zeit, und dann erfolgte abermals ein Krachen, welches wegen der größeren Nähe fast ebenso gefühlt wie gehört werden konnte. Die Wände bröckelten, und aus der Decke brachen ganze Stücke, dann aber rief vorn an der Sprengstelle ‚Donnerpfeils‘ Stimme:
„Emma, wo bist du?“
„Hier!“ jubelte sie und eilte den Gang vor.
Dort stand er diesseits des Schuttes, zwar im Dunkeln, aber von der jenseitigen Laterne genügend beleuchtet. Sie flog an seine Brust, und er legte seine Arme um sie, so fest und innig, daß sie sein stilles Gelübde fühlen konnte, sie nie, nie wieder zu verlassen.
„Mein Antonio!“ flüsterte sie. „Fast wäre ich gestorben!“
„Gott sei Dank, daß dieses nicht geschehen ist“, antwortete er mit tiefster Innigkeit. „Mein kranker Kopf hätte das nicht ausgehalten, und ich wäre wieder wahnsinnig geworden.“
Da tauchte neben ihnen die Gestalt ‚Büffelstirns‘ auf.
„Wo ist Karja, die Tochter der Mixtekas?“ rief er.
Da kam sie herbeigeflogen, und sie fanden sich zu einer glücklichen Umarmung. Nenne man nicht den Indianer einen Wilden. Es ist dasselbe Ebenbild Gottes, wie der Weiße, der sich doch unendlich höher dünkt.
Jetzt kam Sternau herüber und reichte allen die Hand. Mariano umarmte ihn und sagte in innigster Dankbarkeit:
„Schon wieder rettest du mich! Carlos, du bist mein Schutzgeist für und für!“ Und der Steuermann meinte bewegt:
„Herr Doktor, wenn ich die Meinigen wiedersehe, so habe ich das nur Ihnen zu verdanken. Gott vergelte es Ihnen; ich kann es nicht.“
Nun wurde in kurzen, abgerissenen Sätzen das Geschehene schnell erzählt. „Wie, du hast diesem Verdoja das Messer entrissen und ihm gedroht?“ fragte ‚Donnerpfeil‘ seine Braut.
„Ja. Er durfte mich nicht anfassen; ich hätte ihn oder mich getötet.“
„Meine Heldin!“
Mit diesem Ausruf der Bewunderung drückte er sie an sich, fest und warm. Und in demselben Augenblick wurde hinter Karja eine Frage hörbar:
„Die Tochter der Mixtekas hat diesen Pardero mit eigener Hand getötet?“
Es war ‚Bärenherz‘, der Apache, den sie jetzt liebte und mit der vollen Gewalt ihres Herzens, obgleich sie einst so töricht gewesen war, ihm Graf Alfonzo vorzuziehen.
„Ja“, antwortete sie leise.
„Und dann ihre Mitgefangenen losgemacht?“
„Ja.“
„Die Tochter der Mixtekas ist eine Heldin; sie verdient, zu werden die einzige Squaw (Frau) eines großen Häuptlings.“
Er fuhr ihr mit der Hand liebkosend über das Haar und wendete sich dann ab; aber sie wußte, daß diese Worte und dieses fast unfühlbare Streichen ihres Haares bei ihm mehr zu bedeuten hatte, als bei einem anderen eine Rede von tausend Worten.
Da aber kam noch einer und sagte schüchtern:
„Señorita, wie freue ich mich, Euch wiederzusehen!“
Emma blickte sich um und erkannte den Vaquero.
„Francesco, du auch hier?“ sagte sie hocherfreut. „Du bist mir wie ein Gruß vom Vaterhaus. Das werde ich dir nie vergessen!“
Sie reichte ihm die Hand, und dann sagte Sternau:
„Verschieben wir alles für später und denken wir zunächst an die Gegenwart. Wir wollen die Zellen sehen, in denen sie gesteckt haben, und die Leichen.“
Mariano ergriff die eine Laterne und machte den Führer. Die Retter schauderten, als sie die engen, modrigen
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