45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Schiff.“
„Gebt sie heraus!“
„Das wäre lächerlich. Ein Fürst der Christen ist gezwungen gewesen, dir so lange Jahre zu dienen; er zwingt dich jetzt, ihm ein fürstliches Gehalt auszuzahlen. Lebe wohl und vergiß die Lehre nicht, welche du heute von uns erhältst.“
Das Boot trieb vom Schiff ab; aber die Wut des Sultans war so groß, daß er in diesem Augenblick kein Wort sprechen konnte. Er brachte nur einige unartikulierte Laute hervor; an seiner Stelle aber befahl der Gouverneur:
„Ich gebiete euch, uns wieder aufzunehmen. Oder soll ich euch zwingen?“
„Versuche es!“ lachte der Graf.
„Der Sultan hat mir eine Schrift ausgestellt, daß ich den Preis erhalten soll.“
„Laß ihn dir auszahlen. Die Bedingungen sind erfüllt. Du sollst den Preis erhalten, sobald wir in die Hände des Kapitäns gekommen sind. Wir befinden uns jetzt in seiner Hand; also müssen die Kamelladungen ausgezahlt werden!“
„Hund!“ knirschte der Gouverneur. „Ihr habt uns betrogen!“
„Aber ihr uns nicht; dazu wart ihr ja zu dumm! Ein Christ wird sich niemals von einem Moslem betrügen lassen: das merke dir, lebt wohl!“
Da zeigte der Gouverneur mit zorniger Gebärde nach dem Schiff und gebot seinen Leuten:
„Nehmt die Ruder. Wir legen wieder an.“
Sie gehorchten. Der Kapitän merkte dies und kommandierte:
„Holla, Männer! Die Segel in den Wind und das Steuer zum Wenden!“
Dieser Befehl wurde sofort befolgt, und eben als das Boot das Schiff wieder berühren wollte, machte dasselbe eine rasche Wendung, so daß die Berührung zu einem Zusammenstoß wurde, infolgedessen das Boot umschlug. Seine Insassen stürzten in das Wasser und hatten Mühe, sich in demselben zu erhalten.
Da erscholl vom Ufer her ein lauter Freudenruf. Der Sultan, welcher von zweien seiner Leute unterstützt wurde, blickte hinüber und erkannte die beiden Somali, welche auf seinen Kamelen am Wasser hielten und laut seinen Fall bejubelten.
„Diese Hunde sind die Führer gewesen; sie haben meine Tiere!“ pustete er, indem er Seewasser schluckte. „Schnell ans Ufer; wir müssen sie fangen!“
Die auf dem Deck des Schiffes Stehenden sahen, wie die im Wasser Schwimmenden sich Mühe gaben, das Ufer zu erreichen; kaum aber waren sie dort angelangt, so stießen die beiden Somali einen höhnischen Jubelruf aus und galoppierten auf ihren schnellfüßigen Tieren davon. Die beiden großen Herren hatten auch hier das Nachsehen.
„Man sieht es, daß er vor Wut bersten möchte“, sagte der Graf. „Wehe demjenigen von seinen Leuten, über welche sein Zorn entladen wird.“
„Es wird ihnen gehen wie mir, wenn ich wieder nach Zeyla komme“, klagte der Dolmetscher.
„Wieso?“
„Der Gouverneur wird mich gefangen setzen.“
„So gibt es ein sehr vorzügliches Mittel: Du gehst ganz einfach nicht wieder hin, und den Schaden, der dir daraus erwächst, werde ich dir ersetzen.“
Damit schien der Mann zufrieden zu sein.
Das Schiff hatte in kurzer Zeit die See wieder gewonnen, und die Küste verschwand nach und nach den Augen. Der Kiel war gegen Osten nach Indien gerichtet, da der Kapitän ja wußte, daß seine neuen Passagiere nach Kalkutta wollten. Es wurde wenig gesprochen, denn ein jeder hatte mit seinen eigenen Gedanken zu tun.
Im Lauf des Nachmittags begegnete man einem englischen Kauffahrer, der aus Ceylon kam und nach Aden wollte. Er nahm den Dolmetscher, der nun nicht mehr gebraucht wurde, mit an Bord, nachdem derselbe von dem Grafen sehr reichlich beschenkt worden und für etwaigen Verlust also entschädigt worden war.
Da in jenen Breiten die Hitze eine fast unausstehlich drückende ist, so wurde der Tag entweder verschlafen oder verträumt, denn die Führung des Schiffes erforderte bei dem günstigen Wind keinerlei besondere Arbeit. Als aber der Abend nach der kurzen Dämmerung hereingebrochen war, versammelten sich auf dem Hinterdeck die Passagiere um den Kapitän, um sich mit ihm über das weitere zu besprechen.
Er war natürlich begierig, etwas über die Schicksale der Leute zu vernehmen, zu deren Rettung er so viel beigetragen hatte. Er war ein biederer, gutherziger Deutscher, der gern einem andern seine Hilfe angedeihen ließ. Das prächtige Geschäft, welches er in Zeyla gemacht hatte, erhöhte nebst seiner guten Stimmung auch die Bereitwilligkeit, zum Wohle seiner Nebenmenschen das möglichste beizutragen. Er ahnte, daß hier ganz außerordentliche Verhältnisse statthaben müßten und lenkte infolgedessen die
Weitere Kostenlose Bücher