45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Sklavin auch dabei?“
„Ja. Ich sagte doch bereits, daß keiner fehle.“
„So muß ich sie sofort sehen, sofort! Hörst du? Wo sind sie? Wo?“
„Fahre mit uns an das Ufer, wenn du sie sehen willst. Ich werde sogleich ein Boot herablassen für uns. Das deinige, mit welchem du an Bord gekommen bist, hängt noch hinten; ich werde es dir an die Seite bringen lassen. Nimm alle deine Leute mit, denn du wirst sie gebrauchen können!“
Dies brachte Leben und Bewegung in den Sultan und den Gouverneur. Sie rannten von einem Ende des Schiffes zum andern; sie brüllten ihren Untergebenen die widersprechendsten Befehle zu und merkten dabei gar nicht, was für eigentümliche Vorrichtungen an Bord getroffen wurden. Ihr Boot wurde längsseits gezogen und das Fallreep niedergelassen. Auf der anderen Seite tat man so, als ob auch hier ein Boot für den Kapitän ausgesetzt werde, doch wurde dasselbe nur bis zur halben Bordwand heruntergelassen. An der Ankerwinde standen einige Mann, und andere machten sich in den Rahtauen zu schaffen, um sich die Zeit zu vertreiben, wie es schien. Ein aufmerksamer Beobachter aber hätte sehen müssen, daß das Schiff fertig gehalten wurde, in Zeit von einer Minute den Wind zu nehmen und in See zu gehen.
Endlich waren die Mohammedaner fertig und sahen sich nach dem Kapitän um.
„Einsteigen!“ kommandierte dieser und tat zu gleicher Zeit, als ob er sich in das andere Boot hinablasse.
Kaum aber stand der letzte der Diener auf der Falltreppe, so stand Wagner wieder auf dem Deck. Ein Wink von ihm genügte, der Anker hob sich vom Grund, und die Segel bekamen Leben. Dann schritt er hinüber, blickte über die Brüstung in das Boot des Gouverneurs und sagte zum Sultan:
„Jetzt sollst du sehen, daß ich Wort gehalten und alle Flüchtlinge in meine Hand bekommen habe. Welcher von ihnen ist dir der Wertvollste?“
„Die weiße Sklavin“, antwortete der Gefragte. „Aber warum kommst du nicht?“
„Weil ich sie dir zeigen kann, ohne mit dir zu gehen. Blicke her.“
In diesem Augenblick trat Emma an die Brüstung und zeigte sich den Männern, welche sich unten im Boot befanden. Der Sultan fuhr erstaunt empor und rief:
„Allah il Allah, das ist sie; ja, das ist sie! Ich muß wieder hinauf!“
Er durchschritt das Boot, um wieder an die Falltreppe zu gelangen, an welcher das letztere befestigt war. Da aber gab der Kapitän einem seiner Leute einen Wink. Der Mann hatte das Tau, an welchem das Boot ging, bereits gelöst und hielt es in der Hand. Er warf es über Bord in das Boot hinab, welches nun frei wurde und unter den eiligen Schritten des Sultans so zu schaukeln begann, daß dieser niederstürzte. Doch raffte er sich schnell empor und rief:
„Halt, was ist das? Warum bindest du uns los? Ich muß hinauf; ich muß die Sklavin holen; sie ist mein Eigentum! Und wo sind die andern?“
„Hier!“
Bei diesen Worten zeigte Wagner auf den Grafen Rodriganda und den Gärtner Bernardo, welche beide jetzt auch an die Brüstung traten und sich in ihrer vollen Gestalt sehen ließen. Während der kurzen Dauer dieses Intermezzos hatte der Dolmetscher die Übersetzung der Reden übernommen. Er hatte keine Ahnung gehabt, daß die gesuchten Flüchtlinge sich an Bord befanden; jetzt nun bemerkte er dies und flüsterte dem Kapitän höchst erschrocken zu:
„Was hast du getan, Herr? Es wird dein und mein Verderben sein!“
„Inwiefern?“ fragte Wagner.
„Der Sultan und der Gouverneur werden sich furchtbar rächen.“
„Pah! Ich fürchte sie nicht!“
„Du wohl, aber ich. Ich komme ja öfters nach Zeyla und Berbera.“
„So gehst du nicht wieder her.“
„So habe ich großen Schaden.“
„Der wird dir vielleicht ersetzt werden.“
„Dennoch darf ich in dieser Sache nicht weiter dein Dolmetscher sein.“
„Das ist auch nicht nötig; ich werde selbst reden.“
Diese letzten Worte hatte der Graf gesprochen, welcher die leise Rede des Dolmetscher verstanden hatte. Er trat näher an die Brüstung, so daß ihn der Sultan genau sehen konnte. Dieser machte eine überraschte Handbewegung und rief:
„Bei Allah, dort sind sie! Ich befehle euch, mich wieder an Bord zu nehmen!“
„Das fällt uns gar nicht ein!“ lachte der Graf.
„So kommt herab zu uns! Ich gebiete es euch!“
„Bist du toll! Was hättest du uns zu befehlen? Wir sind jetzt freie Männer.“
„Schurken seid ihr, elende Schurken! Wo habt ihr mein Geld und meine Schätze?“
„Die haben wir bei uns auf dem
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