45 - Waldröschen 04 - Verschollen
diesen Bösewicht zu fangen, er war verschollen. Nun lieferte sich der Seeräuber selbst an das Messer. Er konnte gezwungen werden, alle Geheimnisse von Rodriganda zu enthüllen, und auch über das Schicksal Sternaus Auskunft geben, falls ihm dasselbe vielleicht bekannt war.
Am Ziel seiner Droschkenfahrt angekommen, erfuhr Kurt, daß Bismarck nicht zu sprechen sei, da er sich gegenwärtig beim König befinde. Kurz entschlossen ließ er sich sofort nach dem königlichen Schloß fahren. Er wurde hier zunächst bedeutet, daß keine Zeit zur Audienz sei. Er zuckte die Achsel und erklärte dem diensttuenden Adjutanten:
„Ich muß dennoch auf meiner Bitte bestehen, Herr Oberst!“
„Aber Sie sind nicht in Uniform, Leutnant!“
„Ich hatte keine Zeit, sie anzulegen.“
„Dazu ist unter allen Umständen Zeit. Seine Majestät trägt stets und streng die Uniform. Ich würde einen fürchterlichen Verweis erhalten, wenn ich Sie so meldete, wie Sie dastehen. Übrigens ist Seine Exzellenz von Bismarck bei der Majestät.“
„Eben Seine Exzellenz suchte ich. Und daß ich erfuhr, daß sie bei Seiner Majestät zu treffen sei, ist mir lieb. Ich kann Ihnen, Herr Oberst, nur mitteilen, daß es sich um eine höchst wichtige Angelegenheit handelt, welche keinen Aufschub erleiden darf. Diese Wichtigkeit gibt mir die Erlaubnis, selbst die bedeutungsvollste Unterredung der beiden hohen Herren zu unterbrechen. Es ist Gefahr im Verzug, da es sich um die sofortige Verhaftung eines Spiones und Landesverräters handelt, und ich würde mich gezwungen sehen, die Verantwortung auf Sie zu wälzen, falls Sie sich weigern, mich zu melden.“
Der Flügeladjutant blickte den jungen Mann, der so zwingend zu sprechen wußte, verwundert an und sagte dann:
„Sie behaupten also, wichtiges und unaufschiebbares zu bringen?“
„So ist es.“
„Und wollen diese Angelegenheit dem Grafen von Bismarck in Gegenwart des Königs vortragen?“
„Ja.“
„Nun, wenn Sie das sagen, so bin ich gezwungen, Sie anzumelden. Aber, junger Mann, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie sich und vielleicht auch Ihrer Karriere sehr im Wege stehen, wenn Sie sich bei Seiner Majestät Zutritt erzwingen in einer Angelegenheit, welche nicht so wichtig ist, als Sie denken. Die Verantwortung mögen Sie tragen.“
„Gern“, erwiderte Kurt höflich, aber selbstbewußt.
Der Adjutant trat in das Gemach Seiner Majestät und erschien nach kurzer Zeit wieder. Auf seinen Wink trat Kurt ein. Er befand sich den beiden größten Männern Deutschlands gegenüber.
König Wilhelm hatte damals vor erst einigen Wochen Österreich und Süddeutschland besiegt, er hatte, allen Erwartungen gegenüber, gezeigt, daß er ein würdiger Erbe des großen Friedrich sei, und daß er sich im Stillen Männer herangebildet habe, welche recht wohl die Kraft hatten, die Traditionen seiner großen Ahnen mit Wort und Schwert kräftig zur Geltung zu bringen. Er war zwar noch nicht auf der Höhe seines Ruhmes angekommen, die er einige Jahre später zu Versailles nach einem der blutigsten Kriege der Weltgeschichte erstieg, doch fühlte er sich den Feinden recht wohl gewachsen, welche jetzt, nachdem er seine Feinde niedergeworfen hatte, heimlich und öffentlich gegen ihn machinierten.
Er war mit einem Schlag ein gefürchteter, einflußreicher Monarch geworden, und zwar mit Hilfe des Mannes, der jetzt an seiner Seite stand. Der eiserne Kanzler mit den ihm vom Kladderadatsch angedichteten drei Haaren war die Seele der preußischen Politik. Kein Diplomat wagte einen Schritt zu tun, ohne zuvor bei ihm sondiert zu haben. Er war der Beamte, aber auch der Freund seines erhabenen Monarchen, und sein Auge, welches bisher alle Intrigen seiner Feinde durchschaut hatte, blickte jetzt mit Verwunderung auf den jungen, kaum zwanzigjährigen Menschen, welcher es wagte, sich in so unscheinbarer, kaum für einen Restaurationsbesuch passenden Kleidung eine Audienz zu erzwingen.
Auch des Königs Auge ruhte in ernster Erwartung auf Kurt, welcher nach einem ehrfurchtsvollen Gruß ruhig den Blick erhob, um zu warten, bis er angeredet werde.
„Man hat mir den Leutnant Helmers gemeldet?“ sagte der König.
„Ich bin es, Majestät“, antwortete Kurt in bescheidenem Ton.
„Von welcher Truppe?“
„Bisher im Dienst seiner Durchlaucht des Großherzogs von Hessen, jetzt aber eingetreten bei den Gardehusaren Eurer Majestät.“
Das Auge des Königs belebte sich mehr und wurde milder.
„Ah“, sagte er, „mein
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