45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Polens vindiziert; mit Österreich und Italien ist noch zu verhandeln. Ich reise von hier nach Petersburg, Sie aber sondieren die hiesigen Verhältnisse und geben Ihrem Minister genaue Nachricht. Jetzt gehe ich zum russischen Gesandten. Sie werden mich begleiten, um ihm zu beweisen, daß Frankreich von Spanien nichts zu fürchten hat.“
„Ich stehe sofort zur Disposition, da ich nur dieses Memorial zu verschließen habe.“
Kurt hörte einen Schlüssel klirren.
„Ist das Dokument in dem Handköfferchen auch wirklich sicher aufgehoben?“ fragte Douai.
„Ganz gewiß“, antwortete der Kapitän. „Übrigens nehme ich ja den Schlüssel meines Zimmers mit.“
„So kommen Sie!“
Die beiden verließen Nummer zwölf. Kurt hörte, daß die Tür verschlossen wurde. Es war ihm ganz eigentümlich zumute. Er hatte jetzt Kenntnis von einer heimlichen Machination gegen Deutschland. Welch einen ungeheuren Wert hatte das Memorial! Er mußte versuchen, in seinen Besitz zu gelangen. Aber wie?
Indem er darüber nachdachte, wurde ein Schlüssel in das Schloß seines Zimmers gesteckt. Die Kellnerin kam, um ihn aus seiner freiwilligen Gefangenschaft zu befreien.
„Sie sind soeben fort“, sagte sie. „Haben Sie etwas gehört?“
„Ja. Ist es nicht möglich, einmal nach Nummer zwölf zu kommen?“
„O ja, ich müßte den Hauptschlüssel holen. Aber wenn Parkert uns überrascht!“
„Keine Sorge. Er kommt nicht sogleich zurück.“
„So warten Sie.“
Sie entfernte sich. Wie gut, daß Kurt dieses Mädchen getroffen hatte! Ohne ihre Hilfe wäre es ihm nicht möglich gewesen, das zu erfahren, was er jetzt wußte.
Sie kehrte in kürzester Zeit zurück und brachte ihm den Hauptschlüssel.
„Ich weiß nicht, was Sie da drüben wollen, Herr Leutnant“, sagte sie. „Aber ich habe auch keine Zeit, mitzugehen, denn es sind mehrere Gäste gekommen, welche ich bedienen muß. Hier ist der Schlüssel.“
„Wie bekommen Sie ihn wieder? Ich kann doch unmöglich nochmals in die Gaststube kommen.“
„Legen Sie ihn hier neben der Tür unter den Teppich. Sobald ich kann, hole ich ihn mir.“
Als sie nach unten zurückgekehrt war, öffnete er das Zimmer des Kapitäns und verschloß die Tür wieder, nachdem er eingetreten war. Der Raum war ganz in derselben Weise möbliert wie der nebenan liegende. Ein größerer Reisekoffer stand an der Wand, und auf demselben lag ein kleines Handköfferchen. Wie war es zu öffnen? Das Dokument mußte heraus!
Kurt griff in die Tasche. Auch er besaß ein ähnliches Köfferchen, und trug den Schlüssel zu demselben bei sich. Er probierte und – hätte vor Freude aufjauchzen können, denn sein Schlüssel paßte. Die Schlösser dieser Koffer sind meist Fabrikware, eines wie das andere, und daher kommt es, daß ein Schlüssel alle Schlösser öffnet. Dies war für Kurt ein höchst günstiger Umstand.
Das Köfferchen enthielt nichts als Papiere. Oben darauf lag ein langes, schmales Heft. Er öffnete es – es war das gesuchte Memorial in französischer Sprache geschrieben und mit dem Siegel des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten versehen.
Sollte er sich seiner bemächtigen, oder nur eine Abschrift davon anfertigen? Zu der letzteren stand ihm augenblicklich zwar kein Papier in Bogenform zur Verfügung, doch hatte er sein Notizbuch mit, und dies genügte, die Paragraphen wörtlich festzuhalten. Besser war es jedenfalls, wenn er sich in den Besitz des Originals setzte, aber dann mußte der Kapitän den Verlust desselben bemerken. Kurt ging einige Minuten lang mit sich zu Rat. Er war entschlossen, den Grafen von Bismarck schleunigst in den Besitz dieses heimlichen, hinterlistigen Vertrages zu setzen, und das das mit dem Ministerialsiegel versehene Original in den Händen des allmächtigen Mannes jedenfalls eine ganz andere Beweiskraft besaß, als eine doch immerhin noch der Bestätigung bedürfende Kopie, so entschloß er sich endlich, das Heft ganz ohne weiteres an sich zu nehmen.
Er tat dies, verschloß sodann das Köfferchen wieder und verließ das Zimmer. Nachdem er den Hauptschlüssel unter den Teppich gelegt hatte, fügte er einige Banknoten zur Belohnung der gefälligen Kellnerin hinzu und verließ sodann das Haus, was er auch ungesehen bewerkstelligte.
Er nahm sofort eine Droschke und fuhr nach der Wohnung Bismarcks. Er dachte mit Freuden daran, daß dieser ihm sicher behilflich sein werde, sich des Kapitäns zu bemächtigen. Sternau war mit seinen Gefährten ausgezogen, um
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