45 - Waldröschen 04 - Verschollen
durch eine Forderung beantworten werde, und das hätte den Obersten bei seinen Vorgesetzten in fürchterlichen Mißkredit bringen müssen.
Junge Leutnants mögen sich fordern und schlagen, und dann zur Strafe auf die Festung gehen, wenn aber ein alter Oberst einen der jüngsten Offiziere zu einer Forderung förmlich zwingt, so ist er wert, degradiert zu werden. Dies bewog den Obersten einzulenken. Er sagte:
„Was Gedächtnisschwäche, was Absicht! Dort steht Adjutant von Branden. Er mag Sie vorstellen.“
Er glaubte, genug getan zu haben, denn mit dem Ausdruck Gedächtnisschwäche war er ja auch beleidigt worden. Freilich gab er sich jetzt vor allen Anwesenden dadurch, daß er tat, als ob er diese Beleidigung gar nicht gefühlt habe, eine große Blöße. Er meinte nun, die Angelegenheit erledigt zu haben, und setzte sich. Kurt jedoch blieb vor ihm stehen und sagte mit lauter, sicherer Stimme: „Halten zu Gnaden, Herr Oberst. Ich habe eine Bemerkung zu machen.“
„Nun?“ fragte der Oberst, indem er ihm das vor Zorn und wohl auch vor Verlegenheit gerötete Gesicht zuwendete. „Fassen Sie sich kurz!“
„Das werde ich, denn Kürze ist meine Eigenheit, wie Sie bald bemerken werden. Ich bin nicht aus eigenem Antrieb aus meinen bisherigen Verhältnissen geschieden, sondern ganz allein nur auf höhere Anregung zur preußischen Garde versetzt worden. Ich kenne die exklusiven Traditionen des Gardekorps, aber ich habe gemeint, wenn die Herren Kameraden sich mir, der ich im letzten Feldzug als großherzoglich hessischer Offizier meine Schuldigkeit getan habe, auch nicht gerade in warmer Freundschaft anschließen würden, man mich doch ohne gewaltsame Provokation meinen Weg gehen lassen werde. Heute aber habe ich bei den meisten der Herren, denen ich mich dienstlich vorzustellen hatte, eine geradezu zurückweisende, fast empörende Aufnahme gefunden. Darum war ich allerdings darauf gefaßt, auch hier nicht willkommen geheißen zu werden. Ich bin kein Freund von Ungewißheiten. Ich muß wissen, ob man mich als Kamerad anerkennt oder nicht. Und so mag es sich gleich in diesem ersten Augenblick entscheiden, ob mir mein Weg gefälligst freigelassen wird, oder ob ich ihn mir zu erkämpfen habe. Herr Oberst, ich bin von Ihnen verleugnet worden. Ich muß unbedingt wissen, ob dies aus Gedächtnisschwäche oder mit Absicht geschah. Wollen Sie die Güte haben, mir meine Frage zu beantworten?“
Es war kein einziger der Anwesenden sitzengeblieben, sie alle hatten sich erhoben. So war hier noch nie gesprochen worden. In dieser Weise hatte noch nie ein Leutnant mit dem Chef des Regimentes zu reden gewagt. Sie waren ihm alle feindlich gesinnt, und dennoch mußten sie ihn ob seiner Kühnheit hochachten.
Wie jetzt die Sache stand, mußte der Oberst entweder sich für gedächtnisschwach erklären – und dies wäre eine ganz entsetzliche Blamage gewesen – oder er mußte gestehen, daß er die Absicht gehabt habe, den Leutnant zu beleidigen – und das mußte unbedingt zu einem Waffengang führen, ebenfalls eine Blamage für den Obersten, für den es in diesem Fall nur einen einzigen Ausweg gab, zu erklären, daß er einen Bürgerlichen nicht für satisfaktionsfähig halte.
Der junge Leutnant hatte den lang gedienten, adelsstolzen Oberst in seiner eigenen Schlinge gefangen, und alle waren neugierig, zu hören, was der letztere sagen werde.
Dieser stand ganz perplex vor seinem Stuhl; er hatte die Contenance verloren, denn ein solches Auftreten dieses Menschen, den er leicht beseitigen zu können gemeint hatte, war ihm ganz undenkbar gewesen. Endlich meinte er:
„Und wenn ich Ihnen die Antwort verweigere?“
„Das werden Sie nicht. Eine solche Verweigerung wäre eine bodenlose Feigheit; ich aber hoffe, daß Sie Mut genug haben, mit einem bürgerlichen Leutnant zu sprechen.“
Dies war dem Obersten denn doch zu viel; dies gab ihm seine Fassung wieder. „Ja, Sie haben recht“, sagte er stolz. „Sie sind nicht der Mann, vor dem man sich fürchtet. Ich erkläre Ihnen also, daß ich Sie absichtlich verleugnete.“
„Ich danke Ihnen, Herr von Winslow. Ich will Ihr Alter berücksichtigen und diese Angelegenheit nicht vor die dienstliche Behörde bringen, aber Genugtuung muß ich mir erbitten. Erlauben Sie, daß ich Ihnen morgen meinen Bevollmächtigten sende.“
„Pah, ich schlage mich mit keinem Bürgerlichen!“
„Das wäre eine sehr wohlfeile Weise, sich der Verantwortung zu entziehen. Nehmen Sie meinen
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