46 - Die Dämonen von Antares
Klinge traf das Auge genau in der Mitte. Nichts hielt ihren Flug auf. Sie flog weiter und prallte scheppernd gegen die Wand.
In dem Augenblick, da ich unbeherrschterweise das Messer geworfen hatte, öffnete sich das Auge wieder. Es öffnete sich weit und starrte mich mit derart bösartiger Intensität an – die ganze Zeit über, während das Messer durch die Luft sauste –, daß es mir eiskalt den Rücken hinunterlief. Ich hob unwillkürlich den Kopf, um mich der Herausforderung zu stellen. Und so starrten wir uns an. Einen winzigen Augenblick lang waren wir von den anderen isoliert, untrennbar verbunden in einem persönlichen Kräftemessen.
Schlagartig wurde mir das Unheimliche dieses Geschehens bewußt. Es dauerte nur einen Herzschlag lang, einen Herzschlag, in dem der Rest Kregens nicht mehr existierte.
Die Glöckchen und die Schädel von Bestis Stab bimmelten und prallten gegeneinander. In einem der angrenzenden Korridore stieß ein Schoßhündchen ein durchdringendes Jaulen aus. Das Auge stieg langsam in die Höhe, und der Tentakel entrollte sich. Der geistige Kampf hielt mich in seinem Bann gefangen. Ich starrte das Auge an.
Vielleicht ein halbes Dutzend Herzschläge lang änderte sich nichts an dem Anblick.
Dann verschwand das Auge lautlos.
Keiner sagte ein Wort.
Erst nach einem weiteren Schluck Wein – diesmal mit weniger Wasser – verlangten die anderen stürmisch eine Erklärung von Sana Besti.
Ihr ganzes Benehmen verriet den Kampf zweier gegensätzlicher Gefühle. Da waren der Stolz und die Zufriedenheit, daß sie diese okkulte Manifestation zuerst entdeckt und dann verbannt hatte. Diese Gefühle rangen mit dem Wissen, was da eigentlich gerade passiert war. Das war ein böses Vorzeichen für die Zukunft Tolindrins – und das war keine bloße Vermutung, sondern eine einfache Erkenntnis.
In den vielen Disziplinen und Geheimnissen der Zauberer Kregens gab es gewaltige Unterschiede, was Befähigung und Leistungen betraf. Soweit ich wußte und erlebt hatte, waren die Zauberer aus Loh bei weitem die Mächtigsten unter ihnen. Doch in letzter Zeit waren meine Kameraden vor Balintol zurückgeschreckt. Sie hatten angedeutet, daß die geheimnisvollen Zauberer von Balintol die Aktivitäten der Zauberer aus Loh überwachen konnten. Mir hatte sich sogar die Vermutung aufgedrängt – durch die Worte, die meine Freunde nicht gesagt hatten –, daß ihre Arbeit behindert, wenn nicht sogar zunichte gemacht werden konnte.
Keine schöne Vorstellung.
Der kürzlich verstorbene König hatte alle Zauberer aus Tolindrin verbannt – Sana Besti wurde toleriert. Die unbedeutenden Beherrscher der magischen Künste wurden geduldet. Meiner Meinung nach war Sana Besti alles andere als unbedeutend, bei Krun! Ihre Stellung als Zwillingsschwester des Hyr Kov trug wesentlich zu ihrem Überleben bei – das und ihr thaumaturgisches Geschick.
Seit meiner Ankunft in Balintol hatte mich der Ruf des Subkontinents als ein Ort der Geheimnisse verwundert. Davon hatte ich nur sehr wenig zu Gesicht bekommen, zumindest hatte ich das gedacht. Aber jetzt, da Dämonen auf unsere Daseinsebene herüberwechselten und die Körper junger Menschen in Stücke rissen, war ich gezwungen, diese Meinung zu ändern.
Während des unbehaglichen Gesprächs teilte uns Besti ihre Überzeugung mit, daß das Auge keinesfalls von Khon des Maks neuem Zauberer aus Loh geschickt worden war. Der war noch ein Pfuscher; er würde sicher lernen. Dem stimmte ich zu. Wenn die Zauberer aus Loh aus der Ferne etwas beobachten wollen, versetzen sie sich ins Lupu – was auf verschiedene Weise geschieht – und spionieren. Manchmal benutzen sie dabei einen Signomant, ein Gerät, das vorher am Ziel ihrer Beobachtung untergebracht wird. Ich hatte noch nie zuvor ein körperloses Auge gesehen – zumindest soweit ich mich erinnern konnte.
Besti sagte – und sie betonte ihre Unsicherheit –, daß es sich bei dem Auge ihrer Meinung nach um eine Manifestation des Illusionszauberers San W'Watchun aus Winlan gehandelt hatte.
Mir kam sofort die Heilige Dame von Belschutz in den Sinn, als ich sah, wie die Anwesenden auf Bestis Meinung reagierten. Sie waren entsetzt. Beim Auftauchen des Ibmanzys war ihnen die Furcht in die Knochen gefahren, das hatte sich bei der Materialisation des Auges wiederholt; dieser dritte Schock gab ihnen den Rest.
Bei diesen Geschehnissen hatte es sich nicht um einen Kampf mit blitzenden Klingen oder spritzendem Blut gehandelt; nichtsdestotrotz war
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