46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
ihm nach.
„Señor Sternau“, bat sie in herzzerreißendem Ton.
„Was wünschen Sie noch?“
„Ich kann, ich darf ja nicht zu ihm.“
„Warum nicht?“
„Ich – ich würde ihn ganz sicher töten.“
Da ging ein stilles Lächeln abermals über sein Gesicht. Er legte ihr die Hand aufs Haupt und fragte:
„Sie trauen sich nicht die Kraft der Selbstbeherrschung zu?“
„Mein Jammer würde ihm den Rest des Lebens rauben.“
„Mein Kind, Sie kennen sich nicht. Das Weib ist stark im Leid. Kommen Sie! Sie werden ihn nicht töten, sondern ihm das Leben geben.“
Er nahm sie bei der Hand und verließ mit ihr das Zimmer. Sie konnte nicht zurück, sie folgte ihm willenlos bis vor die Tür, hinter welcher der Geliebte lag. Dort aber blieb sie zaudernd und angstvoll stehen.
„Señor Sternau, ich wage es nicht!“ sagte sie, fast zitternd.
„Warten Sie; ich werde zuvor nachsehen“, antwortete er.
Er trat hinein, und sie blieb draußen zurück mit unaussprechlichen Gefühlen im Herzen. Nach einer kleinen Weile öffnete er die Tür.
„Treten Sie ein, Señorita“, bat er leise.
Sie trat ein. Sie sah das Bett und neben demselben eine weibliche Gestalt in der Stellung einer Wärterin sitzen. Es war Zilli.
Also diese Fremde saß bei ihm, während sie, die ihn doch so unendlich liebte, fern von ihm geblieben war. Es ging ein Stich durch ihre Seele.
Sie wagte es, das Auge auf das Bett zu richten; es wurde ihr schwarz vor dem Blick, sodaß sie sich an einem Stuhl anhalten mußte. Nur langsam kam die Helligkeit zurück, sodaß sie sehen konnte, was sich ihrem Blick bot.
Da lag er, eingehüllt in Binden und Bandagen. Er war so vielfach verwundet, daß er aussah, wie eine Mumie, welche ganz in Stoff gewickelt ist. Auch sein Kopf war in weißes Leinen gebunden. Nur sein Gesicht war ganz frei. Es hatte die Blässe des Todes, gegen welche die Schwärze des schönen, vollen Bartes zum Erschrecken abstach. Die Wangen waren tief eingefallen, und seine Augen geschlossen. Er hatte ganz das Aussehen einer Leiche, welche bereits wochenlang im Tod gelegen hat.
Es überlief sie eiskalt. Ja, Sternau hatte recht gehabt. Sie hatte geglaubt, daß sie sich beim ersten Anblick auf ihn stürzen werde; aber jetzt fühlte sie, daß dies unmöglich sei; ihr Körper schien aus Eis zu bestehen; ihre Füße waren zentnerschwer. Es kostete ihr die furchtbarste Anstrengung, sie zu bewegen, und es dünkte ihr, als vergehe eine Ewigkeit, ehe sie das Bett erreichte. Dort stand sie neben Zilli, welche sich vom Stuhl erhoben hatte. Sie versuchte, ob sie sprechen könne, und es gelang:
„Sie waren bisher bei ihm?“ fragte sie das junge Mädchen leise.
„Ja, Señorita“, antwortete Zilli in derselben Weise. „Wir haben ihn verbunden.“
„Ich danke Ihnen.“
Bei diesen Worten nahm sie auf dem Stuhl Platz, von welchem sich die andere erhoben hatte. Diese fragte:
„Sie wollen bei ihm bleiben?“
„Ja“, antwortete Resedilla.
„Das geht ja nicht.“
„Warum nicht?“
„Sie werden unten gebraucht.“
Resedilla schüttelte langsam den Kopf.
„Mein Platz ist hier, bis er genesen ist“, antwortete sie. „Wollen Sie mir eine Wohltat erweisen, so fragen Sie den Vater, ob sie ihm etwas helfen können.“
„Ich werde es gern tun.“
Sie ging.
Sternau nahm jetzt den Verband vom Kopf des Verwundeten und legte einen neuen an. Resedilla war ihm dabei behilflich, fast wie im Traum.
Dabei streifte ihre Hand leise über die bleiche Wange Gerards. Als habe er an dieser Berührung durch ein sympathisches Fluidum die Geliebte erkannt, flüsterte er leise:
„Resedilla!“
„Antworten Sie“, bat Sternau. „Er hat, seit er hier liegt, die Augen noch nicht geöffnet.“
Da bog sie sich zu seinem Ohr nieder und sagte mit leiser Stimme:
„Mein guter, lieber Gerard!“
Da hoben sich seine Lider langsam empor. Sein todesmatter Blick fiel auf sie und schien sich für einen Moment zu beleben.
„O, nun sterbe ich nicht!“ klang es fast hörbar von seinen Lippen.
Da kümmerte sie sich nicht um die Gegenwart Sternaus. Sie legte ihren Mund sanft auf die blutleeren Lippen, um sie zu küssen.
„Nein“, sagte sie dann; „du darfst nicht sterben, mein Gerard, denn ohne dich würde auch ich nicht mehr leben können. Du sollst genesen, und sehen, daß du mir lieber bist, als alles auf der Erde.“
„O Gott, das ist der Himmel, das ist die Seligkeit!“
Mit diesen Worten schloß er die Augen wieder. Dieses plötzliche Glück war zu
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