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46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra

46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra

Titel: 46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wie wohl es einem da ist? Mädchen, ich sage dir, wenn man im Sarg liegt oder im Grab, so ist es einem ganz verteufelt unwohl zumute. Ich mag um alle Schätze der Welt nicht in der Haut einer solchen Leiche stecken. Hast du einmal einen sterben sehen?“
    „Ja doch.“
    „Ah? Wo denn, wenn ich fragen darf?“
    „Heute, droben auf dem Boden.“
    „Ach, das ist nichts. Die sind ja nicht gestorben; die sind ja erstochen und totgeschlagen worden. Ich meine, wenn einer so langsam in seinem Bett stirbt. Hast du das einmal gesehen?“
    „Nein.“
    „Da darfst du auch nicht sagen, daß es einem Toten so wohl sein soll. So ein armer Kerl liegt da und weiß, daß er fort muß, ohne Paß, Impf- und Heimatschein. Da hilft kein Jammern und Klagen, kein Strampeln mit Händen und Füßen; er muß fort, hinaus aus dem Leben, er mag sein, wer er will, Minister oder Weichensteller. Er verdreht die Augen, er knirscht mit den Zähnen; das Herz schläft ein, der Atem wird alle, und der Verstand hört auf. Nun liegt er da, wird in den Sarg gesteckt und in die Erde gescharrt. Hunderttausende von Würmern zwicken und zwacken an ihm herum, ohne daß er sich wehren kann; da unten gibt's keine Luft, kein Licht, keinen Julep. Und wenn so ein armer Teufel zehn oder zwanzig Jahre ausgehalten hat und er wird ausgegraben, so ist er zum Gerippe abgemagert und wird in die Knochenmühle geschafft. Und da sagst du, daß es ihm wohl gewesen wäre? Du bist verrückt! Nein, das schönste dieser drei Feste ist das Hochzeitsfest. Warst du einmal dabei?“
    „Ja.“
    „Na also. Das ist ein Essen und Trinken, ein Springen und Tanzen, ein Herzen und Küssen, besonders zwischen Braut und Bräutigam. Als ich deine Mutter heiratete, war ich vor Glück ganz dumm im Kopf; später bin ich wieder gescheiter geworden. So eine Braut ist zu beneiden, denn ihr Bräutigam wird Schwiegersohn. Ich möchte eigentlich wissen, ob du nicht auch Anlagen besitzt, eine Braut zu sein. Was meinst du?“
    Sie schwieg.
    Darum fuhr er fort:
    „Bis jetzt bin ich darüber noch nicht ins reine gekommen. Ich habe immer gehofft, daß du mir einen Schwiegersohn bringen würdest. Dann wäre es ganz so geworden, wie sie bei uns in Pirna bei Hochzeiten singen. Hast du den Vers schon einmal gehört?“
    „Nein.“
    „Das ist schade, jammerschade. Er hat eine wunderschöne Melodie und wird sogar im Theater gesungen und heißt:
    Wir winden dir den Jungfernkranz
Mit veilchenblauer Freude;
Wir führen dich zu Spiel und Tanz
In lauter Samt und Seide!
    So wäre es geworden. In Samt und Seide wärst du gegangen, und vor Freude wäre ich veilchenblau angelaufen; aber du willst nicht. Nicht wahr?“
    „Nein“, sagte sie leise.
    Da ermannte er sich, nahm seinen ernstesten Ton an und fuhr fort:
    „Ich habe mir's überlegt, daß du recht hast. Du bist nicht zum Heiraten geschaffen, und das ist gut, da kann dir dein Mann nicht sterben, wie mir die Frau gestorben ist. Ich bin seit jener Zeit ledig geblieben, und du sollst es auch bleiben von wegen der Abstammung vom Vater auf die Tochter. Diese Abstammung ist mein festes Prinzip, und das lasse ich mir auch nicht vom Präsidenten nehmen. Ich mag keine Provinz und kein Land regieren, ich mag keinen Orden, ich brauche keinen; auch keinen Schwiegersohn, und wenn du mir ja einen brächtest, so würfe ich ihn zur Tür hinaus. Merke dir das, es ist mein völliger Ernst.“ Er erhob sich vom Stuhl, trat auf sie zu und fügte mit erhobener Stimme hinzu:
    „Vor allen Dingen verbiete ich dir, den ‚Schwarzen Gerard‘ zu heiraten. Ich kann den Kerl nicht leiden, nicht ersehen, nicht ausstehen. Als Schwiegersohn wäre er mir der Nagel zu meinem Sarg. Verstanden? Jetzt kennst du meine Grundsätze und meinen festen Willen. Dabei bleibt's.“
    Mit stolzen Schritten ging er zur Tür hinaus.
    Sie blickte ihm verblüfft nach; sie konnte sich diesen plötzlichen Wechsel in der Gesinnung nicht erklären. Sein Verhalten war nicht allein sonderbar, sondern fast lächerlich zu nennen, aber sie vermochte nicht darüber zu lachen. Es war ihr so ernst zumute, und wenn sie sich nach dem eigentlichen Grund gefragt hätte, so wäre sie sich die Antwort sicher schuldig geblieben.
    Sie trug eine große Liebe im Herzen, aber dieser Liebe gegenüber stand ein böses, schlimmes Wort, welches ihr immer in den Ohren klang: das Wort Garotteur. Auf ihrem Leben haftete kein Flecken, kein Makel; sie hatte sich den, der ihr Herz besitzen sollte, ebenso rein und vorwurfsfrei gedacht,

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