46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
nicht?“
„Weil ich die Hacienda sofort verlasse, um nach dem Rio Grande zu reiten und Lindsay zu suchen. Ich lasse auf del Erina eine Besatzung zurück. Es werden sich auch diejenigen hinzufinden, welche von meinen Agenten angeworben wurden. Du bleibst in der Hacienda zurück und vertrittst meine Stelle, bis ich wiederkomme. Ich hoffe, daß wir in kurzer Zeit genug Leute haben werden, um losbrechen zu können. Wenn ich dann die Franzosen angreife und als der Retter Mexikos auftrete, werden mir Tausende zuströmen.“
„Ja, Vater, du der Retter und ich die Retterin. Ich werde von ganz Mexiko verehrt und angebetet werden; denn ich werde mir eine Fahne machen und eine Rüstung kaufen, um mich wie die Jungfrau von Orleans an die Spitze der Armee zu stellen und in den blutigen Kampf zu ziehen.“
„Mädchen, bist du toll? Da wirst du ja erschossen!“
„Fällt mir nicht ein. Wenn das Schießen beginnt, geht man auf die Seite.“
Sie konnten dieses höchst interessante Gespräch nicht fortsetzen, denn der Mexikaner kehrte zurück, nahm wieder bei ihnen Platz und benachrichtigte sie, daß der Bote, welchen er nach der Hacienda del Erina bestimmt habe, bereits abgeritten sei. –
Die uns so wohlbekannte Hacienda hatte gegenwärtig noch ganz dasselbe Aussehen wie in früheren Jahren, bot aber heute einen nicht ganz friedlichen Anblick dar.
An einer jeden Ecke war eine Art Verschanzung aufgeworfen, auf welcher ein französischer Posten Wache hielt, und im Hof lagen eine ziemliche Anzahl Soldaten herum, welche unter dem Befehl eines Hauptmannes dazu bestimmt waren, die Hacienda zu beschützen.
Dieser Hauptmann saß droben in dem Speisesaal, welchen wir auch bereits kennen, und unterhielt sich mit dem Haziendero und dessen Freundin Marie Hermoyes.
Der Haziendero lag müde in einer Hängematte. Er war, seit er sein Kind verloren hatte, fürchterlich gealtert. Sein Haar war lang und schneeweiß, ja, es hatte fast den durchsichtigen Schein des Eises. Seine Gestalt war eingetrocknet und zusammengebogen. Er hatte das Aussehen eines Mannes, der weit über hundert Jahre zählt.
Auch die alte Marie war ergraut, aber sie erschien weit rüstiger als ihr Herr.
Der Hauptmann war ein nicht zu alter Mann, aber ein Dutzendmensch, nicht gut und nicht böse, nicht klug und auch nicht dumm. Soeben hatte ihn ein Soldat verlassen, welcher ein versiegeltes Schreiben, welches von einem Kavalleristen gebracht worden war, überreicht hatte.
„Verzeihung, daß ich öffne!“ sagte er zu Arbellez. „Dienst geht vor alles.“
Er machte den Brief auf. Während er las, nahm sein Gesicht einen höchst gespannten Ausdruck an. Dann legte er das Schreiben wieder zusammen, steckte es zu sich und sagte: „Da erhalte ich eine Nachricht, welche mir ebenso lieb wie unlieb ist.“
Arbellez blickte ihn an, ohne ihn durch eine Frage zum Sprechen aufzufordern. Er hatte während der Anwesenheit der Franzosen sich gehütet, zu zeigen, oder ahnen zu lassen, daß er ein Freund des Vaterlandes, ein Anhänger von Juarez sei.
„Ich weiß“, fuhr der Franzose fort, „daß Sie uns nicht feindlich gesinnt sind, und darum darf ich Ihnen sagen, um was es sich handelt. Sie wissen wohl, wie weit unsere Truppen das Land besetzt haben?“
„Bis Chihuahua“, antwortete der Haziendero mit einem unterdrückten Seufzer.
„Ja. Wir haben ein Bündnis mit den Comanchen geschlossen, welche bereit sind, als irreguläre Kavallerie unserer Sache zu dienen. Nun haben Sie vielleicht gehört, daß der Expräsident Juarez bis an die äußerste Grenze des Landes geflohen ist?“
„Ja, bis El Paso del Norte.“
„Ihn auch von dort zu vertreiben war unsere Aufgabe. Er mußte entweder gefangen oder hinüber nach Amerika getrieben werden. Das ist nun geschehen.“
„Ah, wirklich?“ fragte Arbellez rasch.
„Ja.“
„Er ist – gefangen?“
„Nein, leider nicht.“
„Also vertrieben?“
„Ja. Paso del Norte befindet sich in unserem Besitz, wie mir hier gemeldet wird. Außerdem kennen Sie vielleicht ein Fort, welches am Puercosfluß liegt und Guadeloupe heißt?“
„Ja, ich kenne es“, antwortete der Haziendero, noch aufmerksamer werdend.
„Auch dieses ist in unsere Hände gefallen.“
„Ich gratuliere, Señor.“
„Ich danke, Monsieur. Es befindet sich also die Nordgrenze ganz in unseren Händen. Wir haben da, wie ich gelesen habe, mehrere Siege erfochten. Paso del Norte und Guadeloupe sind unser. In einer Schlucht, welche Teufelsschlucht genannt
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