Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra

46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra

Titel: 46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
und nun lag es doch so ganz anders. Sie hatte dem Geliebten vergeben; sie wußte, daß er schwer gebüßt hatte, daß er nie imstande sein werde, sich je wieder eines Verbrechens schuldig zu machen, aber sie hatte doch über das Wort Garotteur noch nicht vollständig hinwegkommen können.
    Heute nun hatte er ihr bewiesen, wie lieb er sie habe. Seine Liebe war so stark, so mächtig, daß sie das entschwindende Leben festgehalten und ihm Kraft gegeben hatte, sie aus den Händen der Feinde zu retten. Nun lag er oben, zerschossen und zerstochen, kaum noch eine Spur des Lebens in sich tragend. Jetzt, jetzt endlich war der Klang jenes bösen Wortes in ihr verstummt; sie fühlte, sie wußte, daß sie sein eigen sein müsse ohne Fragen, ohne Zagen, mit unerschütterlichem, felsenfestem Vertrauen.
    Und doch war sie nicht zu ihm gegangen. Warum?
    Die Seele des Weibes ist ein ewiges Rätsel; hier lag die Lösung des Rätsels nicht im verborgenen. Resedilla fühlte die Liebe über sich zusammenschlagen, wie eine unendliche, unwiderstehliche Flut. Sie fühlte und glaubte, daß sie sich über den Geliebten werfen müsse, um mit lauten Klagetönen sein schwaches Leben festzuhalten, und gerade das konnte ihn, der vielleicht noch zu retten war, unwiederbringlich in den Tod treiben. Sie fürchtete die Macht ihrer Liebe, und darum lag er oben, als ob es kein Herz gäbe, welches von einem einzigen, großen Gebet um sein Leben erfüllt sei.
    So saß sie da und drückte die Hand fest auf den Busen, um das Wogen desselben zu besiegen. Da ging die Tür auf. Sie dachte, der Vater kehre zurück, aber als sie das Auge erhob, fiel es auf Sternau.
    „Verzeihung, Señorita!“ sagte er. „Ich komme als Bittender.“
    Sie erhob sich und blickte ihn fragend an. Er war Menschenkenner. Warum antwortete sie nicht? Sein großes, schönes Auge ruhte forschend auf ihr; es ging ein leises Lächeln über sein Gesicht, und dann sagte er:
    „Haben Sie ein wenig Leinwand zum Verbinden?“
    „Ja, gleich!“
    Mit diesen Worten eilte sie nach der Küche. Als sie zurückkehrte und ihm das Gewünschte überreichte, fragte sie:
    „Waren nicht bereits alle verbunden? Wer nimmt Sie noch in Anspruch, Señor?“
    „Gerard.“
    Sie erbleichte.
    „Steht es schlimm mit ihm?“ fragte sie.
    „Sehr schlimm“, antwortete er.
    „O Gott, gibt es keine Rettung?“
    Diese Worte hauchte sie nur, und ihre Augen füllten sich mit Tränen der Angst und des Schmerzes.
    „Gott ist gnädig“, sagte der schöne, ernste Mann. „Hier aber ist außer von ihm, nur von einem einzigen Arzt Rettung zu erwarten.“
    „Wer ist dieser?“
    „Die Liebe.“
    Sie wurde noch bleicher als vorher; dann aber flog ein dunkles Rot über ihr Gesicht, und zu gleicher Zeit floß ein Strom von Tränen über ihre Wangen herab.
    Da ergriff er ihre Hand und sagte mit milder, eindringlicher Stimme:
    „Resedilla, er wollte sterben!“
    „Gerard?“ fragte sie schluchzend.
    „Ja.“
    „Er wollte?“
    „Ja. Er ging mit Fleiß und Vorbedacht in den Tod. Wir anderen kämpften hinter den Palisaden, er aber blieb draußen vor denselben.“
    „O Gott, warum?“
    „Ich weiß es nicht. Sie aber werden es wissen oder wenigstens ahnen. Er gab sich den Kugeln der Feinde preis. Er lag in einem förmlichen See von Blut, nachdem er Wunder der Tapferkeit getan hatte. Da hörte er, daß Sie in Gefahr seien, und dieser Gedanke war hinreichend, seine Seele festzuhalten. Warum hassen Sie ihn?“
    „Hassen? Ich ihn hassen!“
    Bei diesen Worten legte sie beide Hände vor das Gesicht. Das Schluchzen erstickte beinahe ihre Stimme. Er fragte weiter:
    „Kennen Sie ihn seit längerer Zeit?“
    „Seit kurzer Zeit, aber lang genug“, antwortete sie.
    „Wissen Sie, wo er früher lebte?“
    „In Paris.“
    „Und was er dort war?“
    „Ja, Señor“, antwortete sie.
    „Er hat es Ihnen gesagt?“
    „Ja. Er war aufrichtig. Auch Sie wissen es?“
    „Auch ich weiß es, Señorita. Warum wollen Sie ihm nicht vergeben?“
    „O, ich habe ihm ja längst vergeben!“
    „Und doch meiden Sie ihn, da er der Hilfe so sehr bedarf!“
    „Ich darf nicht zu ihm!“
    „Warum nicht?“
    „Ich – ich darf – ich kann es nicht sagen“, antwortete sie.
    „Das begreife ich nicht. Als heute der Kampf begann, bat er mich, Ihnen seinen Gruß zu bringen, wenn er gefallen sei. Er lebt noch, aber dennoch bringe ich Ihnen diesen Gruß; es ist der Gruß eines Sterbenden.“
    Er wendete sich um und schritt der Tür zu. Da eilte sie

Weitere Kostenlose Bücher