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47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile

47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile

Titel: 47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Entschuldigung.“
    Der Beamte war fest überzeugt, daß ‚Geierschnabel‘ wirklich das sei, wofür er sich ausgab. Die Papiere waren unzweifelhaft echt. Er sagte sich, daß eine Beschwerde dieses merkwürdigen Mannes ihn selbst und seine Untergebenen in Ungelegenheiten bringen könne; daher bequemte er sich zu einer Bitte um Entschuldigung. Aber vieles war ihm an dem Fremden geradezu unbegreiflich. Darum fragte er:
    „Sie waren bereits in Rheinswalden?“
    „Ja. Auch in Rodriganda.“
    „Und haben mit den Herrschaften gesprochen?“
    „Mit allen.“
    „Auch mit den Damen?“
    „Das versteht sich.“
    „Mein Gott! Etwa auch in dieser Kleidung?“
    „Fällt mir nicht ein. Ich habe mir diese Sachen erst vorhin bei dem Juden gekauft.“
    „Ah! Sie haben sich in mexikanischer Nationaltracht vorgestellt?“
    „Bewahre. Solchen Prassel habe ich nicht gemacht.“
    „Was hatten Sie denn an?“
    „Dieses Habit, oder wenigstens ein ähnliches.“
    Er griff in den Sack und zog Sachen hervor, welche denen, die er in Rheinswalden und Rodriganda getragen hatte, vollständig ähnlich waren; eine alte baumwollene Jacke und Hose, seit mehreren Jahren nicht in die Hand einer Wäscherin gekommen.
    Der Beamte trat erschrocken mehrere Schritte zurück und rief:
    „In diesen Lumpen?“
    „Ja.“
    „Die Frau Herzogin hat Sie so gesehen?“
    „Natürlich.“
    „Die Gräfin Rodriganda?“
    „Ja, und auch ihre Tochter, das Waldröschen.“
    „Sind Sie gescheit?“
    „Hm. So ziemlich.“
    „Aber Sie haben ja Geld genug, sich andere Kleidung zu kaufen!“
    „Das habe ich auch getan.“
    „Die Sie anhaben? Die ist ja noch viel lächerlicher!“
    „Pah! Mir gefällt sie. Sie sollten einmal sehen, wie die Apachen und die Comanchen staunen würden, wenn ich so vor sie hintreten könnte. Sie würden mich für den größten Häuptling der Welt halten, und zwar dieses famosen Fracks wegen.“
    „Wieso?“
    „Weil an demselben so große Knöpfe sind, wie sie in ihrem ganzen Leben nicht gesehen haben.“
    „Aber Sie befinden sich hier doch weder bei den Comanchen noch bei den Apachen.“
    „Das ist egal. Ein tüchtiger Apache ist zehnmal gescheiter als ein Mainzer Polizist.“
    „Herr, Sie werden witzig!“ lachte der Beamte. „Es mag sein, daß Sie von einem Wilden nicht arretiert worden wären. Hier aber kann ich Ihnen nicht garantieren, daß es nicht noch einmal geschieht. Ich rate Ihnen wirklich, den Anzug zu wechseln.“
    „Er bleibt. Ich tue nichts Böses. Wer mich arretiert, blamiert sich selbst. Hat der Deutsche nicht die Freiheit, sich zu kleiden, wie es ihm beliebt, Herr Kommissar?“
    „O doch.“
    „Nun, so will auch ich von dieser Freiheit Gebrauch machen. Wie steht es, werde ich noch in die Zelle gesteckt?“
    „Nun, da Sie sich legitimiert haben, keineswegs.“
    „Ich bin auch bereit, zu warten. Schicken Sie, wenn Sie noch zweifeln sollten, einen Boten nach Rheinswalden, um sich nach mir zu erkundigen.“
    „Das ist nicht nötig. Sie sind entlassen.“
    „Schön. Da will ich Ihnen für angenehme Unterhaltung meinen Dank sagen. Wissen Sie nun, warum ich mich nicht anders kleide?“
    „Nun, warum?“
    „Nur der Unterhaltung wegen. Ich bin so eine Art von Spaßvogel, und nichts macht mir mehr Vergnügen, als wenn ich zuletzt über andere Leute lachen kann. Adieu, Señor Comisario!“
    Während der letzten Worte hatte er alles wieder in seinen Sack zurückgesteckt und diesen nebst der Büchse über die Schulter geworfen. Dann schritt er zur Tür hinaus.
    „Welch ein Mensch“, meinte der Kommissar zu dem erstaunten Polizisten. „So ein Heiliger ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen.“
    „Waren denn die Papiere wirklich echt, Herr Kommissar?“
    „Natürlich.“
    „Aber die Menschen werden wieder hinter ihm herlaufen.“
    „Leider! Aber ihm macht das Spaß.“
    „Würde es nicht besser sein, einen Kollegen in Zivil nachzusenden, um wenigstens einen allzu großen Auflauf zu verhüten?“
    „Das können wir tun. Man muß ihm bis zum Bahnhof nachgehen.“

SECHSTES KAPITEL
    Ohrfeigen
    Dies geschah. ‚Geierschnabel‘ wanderte, angestaunt und verfolgt von neugierigen Menschen, nach dem Bahnhof. Dort betrachtete er die Inschriften über den Türen, löste sich ein Billet erster Klasse, wartete aber bis zum Abgang des Zuges im Wartezimmer dritter Klasse. Als der Train bereitstand, wurde er erst im letzten Augenblick von einem Beamten darauf aufmerksam gemacht, daß er einsteigen

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