47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
indem er sich mit einer tiefen Verneigung an den alten Herrn wendete.
„Majestät?“ rief da ‚Geierschnabel‘ schnell. „Kreuzdonnerwetter!“
Bismarck blickte ihn beinahe erschrocken an. Der ‚Majestät‘ Genannte aber nickte ihm freundlich zu und sagte:
„Sie brauchen nicht zu erschrecken.“
„Das fällt mir auch gar nicht ein“, antwortete ‚Geierschnabel‘, „aber wenn dieser Master Sie Majestät nennt, so sind Sie wohl gar –“
„Nun, wohl gar –“
„Der König von Preußen?“
„Ja, der bin ich allerdings.“
„Alle Teufel. Was bin ich da für ein Esel gewesen. Aber wer hätte das auch denken können. Kommt dieser alte, brave Herr so still und schmauchend die Treppe herab, fragt mich nach hier und dort und ist der König von Preußen in eigener Person. Na, ‚Geierschnabel‘, für was für einen Dummkopf wird dich da dieser König halten.“
„‚Geierschnabel‘? Wer ist das?“ fragte da der König.
„Das bin ich selbst. In der Prärie hat nämlich ein jeder seinen Beinamen, durch welchen er am besten kenntlich wird. Dem Kerl, der mir den meinigen gegeben hat, hat es eben meine Nase angetan. Aber, Majestät, wer ist denn dieser Herr hier?“
„Kennen Sie ihn nicht?“
„Nein, habe nicht das Vergnügen.“
„Es existieren aber so viele Porträts von ihm.“
„Ich handle nicht mit alten Bildern. Kerl selbst ist Kerl selbst. Was tue ich mit einem Porträt.“
„Nun, es ist der Herr, zu dem Sie wollten.“
Da machte ‚Geierschnabel‘ den Mund auf, trat einen Schritt zurück und sagte: „Was? Der ist Bismarck? Wirklich?“
„Ja.“
„Na, den habe ich mir ganz anders vorgestellt!“
„Wie denn?“
„Klein, dünn und dürftig, wie so einen echten, rechten pfiffigen Federfuchser. Aber eine größere Figur schadet auch nichts, im Gegenteil, sie macht Eindruck. Ich bitte Eure Majestät, dem Master Minister zu sagen, wer ich bin.“
Der König reichte dem Grafen lächelnd die Dokumente ‚Geierschnabels‘ entgegen. Bismarck überflog sie, ein durchdringender Blick fiel dann auf den Jäger, und dann sagte er:
„Kommen Sie, Kapitän.“
Er trat unter Vorantritt des Königs in sein Kabinett zurück und ‚Geierschnabel‘ folgte. Der Diener, welcher einige Augenblicke später in das Vorzimmer zurückkehrte, bemerkte an den lauten, oft wechselnden Stimmen, daß da drinnen ein sehr animiertes Gespräch geführt werde. Der Inhalt desselben war aber nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. –
Als der Wirt des Gasthauses von der Polizei zurückkehrte, erkundigte er sich sofort nach seinem Gast.
„Er ist doch noch oben?“ fragte er.
„Ja“, antwortete der Oberkellner.
„Er ißt noch?“
„Jedenfalls.“
„Er darf das Haus nicht eher verlassen, als bis die Polizei erscheint.“
„So werde ich mich hinauf in den Korridor postieren.“
„Nein, das übernehme ich selbst“, meinte der Wirt. „In solchen wichtigen Dingen kann man nicht sorgfältig genug sein.“
Er stieg wirklich selbst die Treppe hinauf und ließ sich auf einen Stuhl nieder, welcher auf dem Korridor stand. Er ahnte nicht, daß der vermeintliche Attentäter das Zimmer bereits verlassen habe.
Es war nicht viel über eine Viertelstunde vergangen, als die Polizei erschien. Dieses Mal wurden viel sorgsamere Sicherheitsmaßregeln getroffen, als damals bei der mißlungenen Arretur des sogenannten Kapitän Parkert.
Hüben am Hause und gegenüber auf dem Trottoir postierten sich Detektive, welche scheinbar harmlos auf und ab spazierten, aber die Fenster und die Tür des Gasthauses keinen Augenblick aus dem Auge ließen. Der Flur des Hauses und der Hof wurden besetzt, und eine Droschke hielt an der nächsten Ecke, bereit, auf den ersten Wink herbeizukommen, um den Arrestanten aufzunehmen.
Einer der gewieftesten Kriminalbeamten ging in Begleitung noch zweier Kollegen hinauf, um sich des Gesuchten zu bemächtigen.
„Ist er noch da?“ fragte er leise den Wirt.
„Ja. Er hat sich nicht sehen lassen“, lautete die Antwort.
„Wo?“
„Nummer eins, dort.“
„Hat er nicht nach Bedienung geklingelt?“
„Kein einziges Mal.“
„So soll er bedient werden, ohne geklingelt zu haben.“
Er schritt mit seinen Assistenten auf die bezeichnete Tür zu. Der Oberkellner wurde durch die Neugierde herbeigetrieben, aber sein Prinzipal warnte ihn:
„Wagen Sie sich nicht zu weit hinan.“
„So gefährlich wird es doch wohl nicht sein.“
„Was verstehen Sie von der Gefährlichkeit so einer
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